Der Ruf Der Trommel
daraufhin erhob und auf mich zukam, wobei sie vorsichtig ein paar Kleinkindern auswich, die unter dem Schlafverschlag ihrer Familie spielten.
»Meine Großmutter fragt, ob Ihr zu ihr kommt.« Die junge Frau hockte sich neben mich und sprach ruhig auf Englisch. Ich war überrascht,
wenn auch nicht erstaunt, es zu hören. Onakara hatte recht gehabt, einige der Mohawk konnten etwas Englisch. Sie benutzten es allerdings nur, wenn es unumgänglich war, und bevorzugten sonst ihre eigene Sprache.
Ich erhob mich und begleitete sie zu Tewaktenyonhs Feuerstelle und fragte mich, was wohl hinter der Einladung der Schönen Frau stecken mochte. Ich hatte meine eigenen Beweggründe; den Gedanken an Roger und an Brianna.
Die alte Frau lud mich mit einem Kopfnicken ein, mich zu setzen, und redete mit dem Mädchen, ohne den Blick von mir abzuwenden.
»Meine Großmutter fragt, ob sie Eure Medizin sehen darf.«
»Natürlich.« Ich konnte den Blick der alten Frau auf meinem Amulett sehen. Neugierig sah sie zu, wie ich den Saphir herausholte. Ich selbst hatte Nayawennes Spechtfeder noch zwei weitere Federn hinzugefügt, die steifen, schwarzen Flügelfedern eines Raben.
»Ihr seid die Frau von Bärentöter?«
»Ja. Die Tuscarora nennen mich Weißer Rabe«, sagte ich, und das Mädchen fuhr erschrocken zusammen. Sie übersetzte es schnell für ihre Großmutter. Die Alte riß die Augen weit auf, und sie sah mich konsterniert an. Offenbar war dies nicht der vielversprechendste Name. Ich lächelte sie an, wobei ich den Mund geschlossen hielt; die Indianer entblößten normalerweise ihre Zähne nur beim Lachen.
Die Alte gab mir den Stein zurück. Sie studierte mich genau und sprach dann mit ihrer Enkeltochter, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Meine Großmutter hat gehört, daß auch Euer Mann einen Glitzerstein bei sich trägt«, dolmetschte das Mädchen.»Sie würde gern mehr darüber hören; was es für einer ist und wie Ihr daran gekommen seid.«
»Sie kann ihn sich gern ansehen.« Die Augen des Mädchens weiteten sich vor Überraschung, als ich in den Beutel an meiner Taille griff und den Stein hervorzog. Ich hielt der alten Frau den Stein hin; sie beugte sich vor und sah ihn sich genau an, machte aber keinerlei Anstalten, ihn mir abzunehmen.
Tewaktenyonhs Arme waren braun und unbehaart und hatten das Aussehen von glattem, von Falten durchzogenem Satinholz. Doch als ich jetzt hinsah, sah ich, wie sie von einer Gänsehaut überzogen wurden, als sich Haare, die es nicht mehr gab, in vergeblicher Abwehr sträubten. Sie hat ihn schon einmal gesehen , dachte ich. Oder sie weiß zumindest, was er bedeutet .
Ich hatte die Worte der Dolmetscherin nicht nötig; ihr Blick traf
den meinen direkt und ich hörte die Frage deutlich, auch wenn die Worte noch so fremd waren.
»Wie ist dies zu Euch gelangt?« sagte sie, und das Mädchen wiederholte es wörtlich.
Ich ließ die Hand offen liegen; der Opal schmiegte sich eng in meine Handfläche; seine Farben straften sein Gewicht Lügen, denn sie schillerten wie eine Seifenblase in meiner Hand.
»Er ist in einem Traum gekommen«, sagte ich schließlich, denn ich wußte nicht, wie ich es sonst erklären sollte.
Die alte Frau atmete in einem Seufzer aus. Die Furcht verschwand nicht ganz aus ihren Augen, wurde aber von etwas anderem überlagert - Neugier vielleicht? Sie sagte etwas, und eine der Frauen erhob sich von der Feuerstelle und kramte in einem Korb herum. Sie kam zurück, bückte sich neben der Alten und reichte ihr etwas.
Die Alte begann zu singen, leise, mit einer vom Alter gebrochenen Stimme, die dennoch immer noch kraftvoll war. Sie rieb die Hände über dem Feuer aneinander, und ein Schauer kleiner, brauner Partikel regnete auf das Feuer herab, um sogleich als Rauch wieder aufzusteigen, schwer vom Tabakduft.
Es war eine ruhige Nacht; von der Feuerstelle, wo die Männer tranken, konnte ich das Auf und Ab von Stimmen und lautem Gelächter hören. Ab und zu konnte ich ein Wort in Jamies Stimme ausmachen - er sprach Französisch. War Roger vielleicht so nah, daß er es auch hören konnte?
Ich holte tief Luft. Der Rauch stieg in einer dünnen, weißen Säule senkrecht vom Feuer auf, und der starke, süße Tabakduft vermischte sich mit dem Geruch der kalten Luft. Ich erinnerte mich plötzlich an Briannas Highschool-Fußballspiele; an anheimelnde Gerüche nach Wolldecken und Thermoskannen voll Kakao, Zigarettenrauchwölkchen, die aus der Menge hochschwebten. Weiter zurück lagen
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