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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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auf Otterzahns Spur begeben. Da sie so blutig war, war sie nicht schwierig zu verfolgen gewesen.
    »Sie sind ihm gen Süden hinterhergejagt. Wieder und wieder dachten sie, sie hätten ihn, doch er war stark. Er rannte weiter. Vier Tage lang sind sie ihm gefolgt, und schließlich spürten sie ihn in einem Espenhain auf, blattlose Bäume im Schnee mit Ästen so weiß wie Fingerknochen.«
    Sie sah die Frage, die bei diesen Worten in meinen Augen aufleuchtete, und nickte.
    »Mein Bruder, der Kriegshäuptling, ist dabeigewesen. Er hat es mir hinterher erzählt.
    Er war allein und unbewaffnet. Er hatte keine Chance, und er wußte es. Aber er stellte sich ihnen dennoch entgegen - und er redete. Selbst nachdem einer der Männer seinen Mund mit einem Keulenhieb getroffen hatte, sprach er trotz des Blutes, spuckte die Worte mit seinen zertrümmerten Zähnen aus.
    Er war ein tapferer Mann«, sagte sie sinnierend. »Er hat nicht gebettelt. Er hat dieselben Dinge wie zuvor zu ihnen gesagt, aber mein Bruder hat gesagt, diesmal war es anders. Vorher war er so heiß wie Feuer gewesen; im Sterben war er so kalt wie Schnee - und weil sie so kalt waren, jagten seine Worte den Kriegern Angst und Schrecken ein.
    Auch, als der Fremde schon tot im Schnee lag, schienen seine Worte den Kriegern weiter in den Ohren zu klingen. Sie legten sich schlafen, doch seine Stimme sprach in ihren Träumen zu ihnen und hielt sie wach. Ihr werdet in Vergessenheit geraten. Es wird die Nationen der Irokesen nicht mehr geben. Niemand wird mehr eure Geschichten erzählen. Alles, was ihr seid und gewesen seid, wird verlorengehen .
    Sie wandten sich heimwärts, doch seine Stimme folgte ihnen. Nachts konnten sie nicht schlafen, weil sie seine bösen Worte im Ohr hatten. Tagsüber hörten sie Schreie und Flüstern aus den Bäumen an ihrem Weg. Manche von ihnen sagten, es seien nur die Rufe der Raben, aber andere sagten, nein, sie hörten ihn deutlich.
    Schließlich, so sagte mein Bruder, war klar, daß dieser Mann ein Zauberer war.«

    Die Alte sah mich scharf an. Je suis une sorcière , hatte ich gesagt. Ich schluckte, und meine Hand fuhr zu dem Amulett an meinem Hals.
    »Was sie tun mußten, sagte mein Bruder, war, ihm den Kopf abzutrennen, dann würde er nicht mehr reden. Also kehrten sie zurück und schnitten ihm den Kopf ab und banden ihn an die Zweige einer Fichte. Aber auch in dieser Nacht hörten sie im Schlaf seine Stimme, und sie erwachten mit ausgelaugten Herzen. Die Raben hatten ihm die Augen ausgepickt, doch der Kopf redete immer noch.
    Ein Mann, der sehr tapfer war, sagte, er würde den Kopf nehmen und ihn weit weg begraben.« Sie lächelte kurz. »Dieser tapfere Mann war mein Mann. Er wickelte den Kopf in ein Stück Hirschleder und lief damit weit nach Süden, und der Kopf redete immer noch unablässig unter seinem Arm, so daß er sich die Ohren mit Bienenwachs verstopfen mußte. Schließlich sah er einen sehr großen Lebensbaum, und er wußte, daß dies die Stelle war, denn der Lebensbaum hat einen starken, heilenden Geist.
    Also hat er den Kopf unter den Wurzeln des Baumes vergraben, und als er das Bienenwachs aus seinen Ohren nahm, konnte er nur den Wind und das Wasser hören. Dann ging er heim, und niemand in diesem Dorf hat Otterzahns Namen jemals wieder erwähnt, von jenem Tag an bis zu diesem.«
    Das Mädchen sprach zu Ende, den Blick auf ihre Großmutter gerichtet. Es stimmte offenbar; sie hörte diese Geschichte zum ersten Mal.
    Ich schluckte und versuchte, ungehindert Luft zu holen. Der Rauch war während ihrer Erzählung versiegt und hatte sich in einer tiefhängenden Wolke über unseren Köpfen gesammelt, sein narkotisches Parfüm lag schwer in der Luft.
    Die Heiterkeit im Kreis der Trinker hatte nachgelassen. Einer der Männer stand auf und ging stolpernd aus dem Haus. Zwei weitere lagen im Halbschlaf auf der Seite am Feuer.
    »Und dies?« sagte ich und hielt ihr den Opal hin. »Habt ihr den Stein schon einmal gesehen? Hat er ihm gehört?«
    Tewaktenyonh streckte die Hand aus, als wollte sie den Stein berühren, zog sie dann aber zurück.
    »Es gibt eine Legende«, sagte das Mädchen, ohne den Blick von dem Opal abzuwenden. »Magische Schlangen tragen Steine in ihren Köpfen. Wer eine solche Schlange tötet und den Stein an sich nimmt, dem verleiht er große Kraft.« Sie rutschte beklommen hin und her, und genau wie sie konnte ich mir ohne Probleme vorstellen, wie groß eine Schlange sein mußte, die einen solchen Stein in sich

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