Der Ruf Der Trommel
sie auch sein mochte. Er blickte fortwährend zur Tür, einen Ausdruck ängstlicher Erwartung im Gesicht. Erwartete er Rettung?
»Wie viele Männer habt Ihr mitgebracht?«
Die blauen Augen blitzten überrascht auf.
»Meinen Neffen Ian.«
»Das ist alles?« Roger versuchte, sich seinen verblüfften Unglauben nicht anhören zu lassen, doch es gelang ihm eindeutig nicht.
»Hattet Ihr das 78ste Highlandregiment erwartet?« fragte Fraser sarkastisch. Er stand auf und schwankte leicht, den Arm an seine Seite gepreßt. »Ich habe Whisky mitgebracht.«
»Whisky? Hatte der etwas mit dem Kampf zu tun?« Roger erinnerte sich an den Geruch des Mannes, der über ihn hergefallen war, und wies kopfnickend zur Wand des Langhauses.
»Schon möglich.«
Fraser ging zu der Wand mit dem zersplitterten Paneel, preßte ein Auge gegen die Öffnung und starrte eine Zeitlang auf die Lichtung hinaus, bevor er an das dahinschwindende Feuer zurückkehrte. Draußen war es still geworden.
Der kräftige Highlander sah mehr als schlecht aus. Sein Gesicht war weiß und unter den getrockneten Blutstreifen mit einem Schweißfilm überzogen. Roger goß ihm schweigend noch mehr Wasser ein; es wurde schweigend entgegengenommen. Er wußte nur zu gut, was mit Fraser nicht stimmte, und es waren nicht die Nachwirkungen der Wunde.
»Wann habt Ihr sie zuletzt gesehen?«
»Als der Kampf ausbrach.« Fraser konnte nicht stillsitzen; er stellte den Becher ab und stand wieder auf. Er durchstreifte das Innere des Langhauses wie ein ruheloser Bär, dann blieb er stehen und sah Roger an.
»Wißt Ihr irgend etwas über das, was da geschehen ist?«
»Ich könnte es erraten.« Er machte Fraser mit der Geschichte des Priesters vertraut und fand einen kleinen Trost darin, sie zu erzählen.
»Sie würden ihr nichts antun«, sagte er und versuchte damit genauso sich selbst zu beruhigen wie Fraser. »Sie hatte doch nichts damit zu tun.«
Fraser schnaubte verächtlich.
»Aye, das hatte sie wohl.« Ohne Vorwarnung schlug er mit einem dumpfen Pochen der Wut seine Faust auf den Boden. »Verdammtes Weibsbild.«
»Ihr geschieht schon nichts«, wiederholte Roger hartnäckig. Er konnte es nicht ertragen, etwas anderes zu glauben, doch er wußte, was Fraser genausogut wußte - wenn Claire Fraser lebte, unverletzt und frei war, dann hätte nichts sie von ihrem Mann fernhalten können. Und was den unbekannten Neffen anging…
»Ich habe Euren Neffen gehört - im Kampf. Ich habe gehört, wie er Euch gerufen hat. Er hörte sich an, als fehlte ihm nichts.« Schon als er diese Information lieferte, wußte er, was für eine schwache Beruhigung sie war. Doch Fraser nickte, den Kopf auf die Knie gebeugt.
»Er ist ein guter Junge, Ian«, murmelte er. »Und er hat Freunde unter den Mohawk. Gebe Gott, daß sie ihn beschützen.«
Rogers Neugier kehrte zurück, als der Schock des Abends nachzulassen begann.
»Eure Frau«, sagte er. »Was hat sie getan? Wie konnte sie denn in all das verwickelt werden?«
Fraser seufzte. Er rubbelte sich mit der unverletzten Hand über sein Gesicht, dann durch sein Haar und rieb, bis die losen, roten Locken in Knoten und Schlingen abstanden.
»Ich hätte es nicht so ausdrücken sollen«, sagte er. »Es war nicht ihre Schuld. Es ist nur - sie werden sie nicht umbringen, aber Gott, wenn sie ihr etwas getan haben…«
»Das tun sie nicht«, sagte Roger fest. »Was ist passiert?«
Fraser zuckte mit den Achseln und schloß die Augen. Er lehnte den Kopf zurück und beschrieb die Szene, als könnte er sie immer noch sehen, eingraviert in die Innenseite seiner Augenlider. Vielleicht war es auch so.
»Ich habe nicht auf das Mädchen geachtet, nicht in einer solchen Menschenmenge. Ich könnte nicht einmal sagen, wie sie ausgesehen hat. Ich habe sie erst im letzten Moment gesehen.«
Claire hatte an seiner Seite gestanden, blaß und angespannt im Gedränge der schreienden, schwankenden Körper. Als die Indianer mit dem Priester fast fertig waren, hatten sie ihn von dem Pfahl losgebunden und ihn statt dessen an einen langen Balken gebunden, der über seinen Kopf gehalten wurde und von dem sie ihn in die Flammen herablassen wollten.
Fraser sah ihn an und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
»Es war nicht das erste Mal, daß ich gesehen habe, wie einem Mann das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust gerissen wird«, sagte er. »Aber ich habe noch nie gesehen, wie es vor seinen Augen gegessen wird.« Er klang fast verlegen, als
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