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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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verständnislos an. Monatelang hatte er den Großteil seiner wachen Momente damit verbracht, sich eine Begegnung mit diesem Mann auszumalen. Jetzt war sie da, und es kam ihm schlicht unmöglich vor. Er hatte keinen Platz für irgendein Gefühl außer einer Art dumpfen Erstaunens.
    Er rieb sich noch einmal das Gesicht und drängte den Nebel aus Furcht und Adrenalin zurück. Was… was machte Fraser hier?
    Als sich seine Gedanken wieder mit seinen Gefühlen verbanden, war sein erstes erkennbares Gefühl weder Wut noch Besorgnis, sondern ein absurder Ausbruch glücklicher Erleichterung.
    »Sie war’s nicht«, murmelte er, und die Worte klangen ihm seltsam und heiser in den Ohren, nachdem er so lange kein Englisch mehr gesprochen oder gehört hatte. »Oh, Gott, sie war’s nicht!«
    Jamie Fraser konnte nur aus einem Grund hier sein - um ihn zu retten. Und wenn es so war, dann deshalb, weil Brianna ihren Vater geschickt hatte. Ob es ein Mißverständnis oder Böswilligkeit gewesen war, die ihn durch die Hölle der letzten paar Monate hatte gehen lassen, es hatte nicht an ihr gelegen.
    »War’s nicht«, sagte er noch einmal. »Sie war’s nicht.« Er erschauerte vor Übelkeit nach dem Schlag und vor Erleichterung.
    Er hatte geglaubt, er würde für immer hohl sein, doch plötzlich war
etwas da; etwas Kleines, aber sehr Solides. Etwas, das er in seinem Herzen halten konnte. Brianna . Er hatte sie wieder.
    Draußen erscholl erneut eine Reihe schriller Rufe; Klagelaute, die sich endlos hinzogen und ihn wie tausend Nadeln in die Haut stachen. Er fuhr zusammen und erschauerte wieder, als sich alle übrigen Gefühle seiner erneuten Erkenntnis unterordneten.
    In dem sicheren Bewußtsein zu sterben, daß Brianna ihn liebte, war besser als ohne das zu sterben - doch er hatte eigentlich nicht vorgehabt zu sterben. Er erinnerte sich an das, was er draußen gesehen hatte, fühlte, wie ihm die Galle hochkam, und würgte sie herunter.
    Mit zitternder Hand begann er das unvertraute Kreuzzeichen. »Im Namen des Vaters«, flüsterte er, und dann verließen ihn die Worte. »Bitte«, flüsterte er statt dessen. »Bitte gib, daß er nicht recht gehabt hat.«
    Er kroch zittrig zu Frasers Körper hinüber und hoffte, daß der Mann noch lebte. Er lebte noch; Blut floß aus einer Wunde an Frasers Schläfe, und als er seine Finger unter das Kinn des Mannes schob, konnte er einen regelmäßigen Pulsschlag spüren.
    In einem der Gefäße unter dem zertrümmerten Bettgestell war Wasser; glücklicherweise hatte er es nicht verschüttet. Er tauchte ein Ende des Plaids hinein und benutzte es, um Fraser das Gesicht abzuwischen. Nach ein paar Minuten dieser Behandlung begannen die Augenlider des Mannes zu flattern.
    Fraser hustete, würgte heftig, drehte den Kopf zur Seite und übergab sich. Dann riß er die Augen weit auf, und bevor Roger etwas sagen oder sich bewegen konnte, hatte Fraser sich auf ein Knie hochgerollt, die Hand an dem Sgian Dhu in seinem Strumpf.
    Blaue Augen funkelten ihn an, und Roger hob in instinktiver Abwehr den Arm. Dann blinzelte Fraser, schüttelte den Kopf, stöhnte und setzte sich schwer auf den Erdboden.
    »Oh, Ihr seid es«, sagte er. Er schloß die Augen und stöhnte noch einmal. Dann fuhr sein Kopf hoch, die Augen blau und durchdringend, doch diesmal voll Sorge, nicht voll Wut.
    »Claire!« rief er aus. »Meine Frau, wo ist sie?«
    Roger spürte, wie ihm der Kinnladen herunterfiel.
    »Claire? Ihr habt sie hierher mitgebracht? Ihr habt eine Frau hier mit hineingezogen?«
    Fraser warf ihm einen Blick extremer Abneigung zu, verschwendete aber keine Worte an ihn. Er nahm das Messer aus dem Strumpf in die Hand und blickte zur Tür. Der Vorhang war heruntergelassen; es war niemand zu sehen. Der Lärm draußen war erstorben, obwohl das
Raunen der Stimmen immer noch zu hören war. Dann und wann stach eine von ihnen heraus, rufend oder mahnend erhoben.
    »Da steht ein Wächter«, sagte Roger.
    Fraser sah ihn an und erhob sich so geschmeidig wie ein Panther. Ihm lief immer noch Blut über die eine Gesichtshälfte, doch das schien ihn nicht zu stören. Geräuschlos preßte er sich flach an der Wand entlang, glitt zum Rand des Türvorhangs und drückte ihn mit der Spitze des winzigen Dolches zur Seite.
    Was auch immer er sah, es ließ ihn eine Grimasse schneiden. Er ließ die Tür zurückfallen, kam zurück und setzte sich hin, während er das Messer wieder in den Strumpf steckte.
    »Ein gutes Dutzend von ihnen direkt vor der Tür.

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