Der Ruf Der Trommel
Sirenengesang des Gouverneurs.
Jamie war unzufrieden. Er haßte Schiffe wirklich aus tiefster Seele und litt an so akuter Seekrankheit, daß er manchmal schon grün wurde, wenn er nur das Wasser in einem Glas herumwirbeln sah.
»Es ist völlig still«, beobachtete ich. »Vielleicht wird dir ja gar nicht schlecht.«
Jamie schielte mißtrauisch auf das schokoladenbraune Wasser und kniff dann die Augen zusammen, als das Kielwasser eines anderen Schiffes gegen die Breitseite der Sally Ann schlug und sie kräftig zum Schaukeln brachte.
»Vielleicht«, sagte er in einem Tonfall, der ausdrückte, daß meine Bemerkung zwar gut gemeint sei, er es aber für unwahrscheinlich halte.
»Willst du die Nadeln? Sie wirken besser, wenn ich sie setze, bevor du dich übergibst.« Resigniert griff ich in meine Rocktasche, in der das Kästchen mit den chinesischen Akupunkturnadeln lag, die ihm auf der Atlantiküberquerung das Leben gerettet hatten.
Er schauderte kurz und öffnete die Augen.
»Nein«, sagte er. »Ich glaube, es geht. Erzähl mir etwas, Sassenach - lenk mich von meinem Magen ab, aye?«
»Gut«, sagte ich bereitwillig. »Was für ein Mensch ist deine Tante Jocasta?«
»Ich hab’ sie nicht mehr gesehen, seit ich zwei war, von daher sind meine Eindrücke etwas vage«, erwiderte er abwesend. Sein Blick hing an einem großen Floß, das flußabwärts kam und sich allem Anschein nach auf Kollisionskurs mit uns befand. »Meinst du, dieser Neger schafft das? Vielleicht sollte ich ihm ein bißchen helfen.«
»Besser nicht«, sagte ich und betrachtete das näher kommende Floß argwöhnisch. Neben dem Kapitän - einem verlotterten, nach Tabak stinkenden Wrack - gab es auf der Sally Ann noch einen Matrosen, einen älteren Schwarzen, der ein ehemaliger Sklave war und unser Schiff ganz allein mit einem langen Staken steuerte.
Die sehnigen Muskeln des Mannes streckten und beugten sich in lockerem Rhythmus. Den angegrauten Kopf vor Anstrengung gesenkt, schien er keinerlei Notiz von dem näher kommenden Fahrzeug zu nehmen, sondern hob und senkte den langen Staken in einem flüssigen Bewegungsablauf, der ihn wie einen dritten Arm erscheinen ließ.
»Laß ihn lieber. Du weißt also nicht viel von deiner Tante?« fügte ich in der Hoffnung hinzu, ihn abzulenken. Das Floß bewegte sich schwerfällig und unausweichlich auf uns zu.
Es war vielleicht zehn Meter lang und lag tief im Wasser. Es war mit Fässern und Fellbündeln beladen, die unter einem Netz befestigt waren. Eine durchdringende Geruchswolke eilte ihm voraus, es stank so stark nach Moschus, Blut und ranzigem Fett, daß vorübergehend alle anderen Gerüche des Flusses davon überdeckt wurden.
»Nein, sie hat ein Jahr vor der Hochzeit meiner Eltern den Cameron von Erracht geheiratet und Leoch verlassen.« Seine Worte kamen unkonzentriert, und er sah mich nicht an, da seine ganze Aufmerksamkeit auf das näherkommende Fahrzeug gerichtet war. Seine Knöchel wurden weiß, ich sah, wie es ihn drängte, nach vorn zu stürzen, dem Matrosen den Staken zu entreißen und dem Floß auszuweichen. Ich legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Und sie hat euch in Lallybroch nie besucht?«
Ich sah die Sonne auf stumpfem Eisen glänzen, wo sie auf Klampen an der Floßkante fiel, und die drei halbnackten Matrosen schwitzten selbst so früh am Morgen schon. Einer von ihnen schwenkte den Hut und rief grinsend etwas, was sich anhörte wie »Hah, ihr !«, als sie auf uns zukamen.
»Nun, John Cameron ist an der roten Ruhr gestorben, und sie hat seinen Vetter, den schwarzen Hugh Cameron aus Aberfeldy geheiratet, und dann -« Er schloß instinktiv die Augen, als das Floß unter dem gutmütigen Spott und Gebrüll seiner Mannschaft keine zwanzig Zentimeter entfernt an uns vorbeischoß. Rollo, der seine Vorderpfoten auf das niedrige Kabinendach gestützt hatte, bellte wie verrückt, bis Ian ihm einen Klaps versetzte und ihn so zum Schweigen brachte.
Jamie öffnete erst ein Auge, dann das andere, als er sah, daß die Gefahr vorüber war. Er entspannte sich und ließ das Dach los.
»Aye, der schwarze Hugh - so genannt, weil er eine große schwarze Pustel am Knie hatte - kam auf der Jagd ums Leben, also hat sie Hector Mor Cameron vom Loch Eilean geheiratet -«
»Anscheinend hatte sie eine ziemliche Vorliebe für Camerons«, sagte ich fasziniert. »Hat dieser Clan etwas Besonderes an sich - außer einer Neigung zu Unfällen, meine ich?«
»Sie können mit Worten umgehen«, sagte er mit einem
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