Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
Vom Netzwerk:
während er sich wie alle bemühte, die unsteuerbare Fähre mit den Händen ans Ufer zu rudern. Der Waffenmeister beteiligte sich nicht an den Rettungsversuchen, sondern verfolgte das Drama in den Fluten. Mit letzter Kraft kämpfte der Mönch gegen die Wellen an. Schuppige Hände mit Schwimmhäuten griffen nach ihm, zerrten an seinen Beinen, um ihn in ihr Reich hinabzuziehen zu ihrer Herrscherin Rán. Zwei Wassermuhmen tauchten neben ihm auf, grausame, blutdürstige Geschöpfe. Ein Nök bleckte grinsend seine grünen Zähne. Gurgelnd schluckte der kleine Mann Wasser und versank.
    Mit Entsetzensschreien hatten auch die Krieger am anderen Ufer das Unglück verfolgt und brüllten jetzt gut gemeinte Ratschläge herüber, die unter dem Rauschen des Wassers und dem Lärm auf der Fähre ohnehin niemand verstand. Aufgeregt liefen sie am Ufer entlang, immer auf gleicher Höhe mit dem schwankenden Floß, ohne eingreifen zu können.
    Hagen suchte den Fluss ab. Nichts rührte sich. Hatten die Wasserdämonen den Mönch verschlungen?
    Urplötzlich durchbrach etwas prustend die Wasseroberfläche unweit des Ufers, von dem aus sie aufgebrochen waren. Rán verschmähte das Opfer, die Flussgeister wollten den Anhänger des Christengottes nicht haben. Seine Leibesfülle hielt ihn oben, und die Strömung warf ihn schließlich aufs Land. Hustend und spuckend kroch der Mönch die Böschung hinauf und ließ sich, nach Luft ringend, auf den Rücken fallen.
    Mit keiner Miene verriet Hagen, was er dachte. Er fühlte keine Enttäuschung. Er hatte nur bestätigt bekommen, was er ohnehin längst wusste: Sie waren dem Tode geweiht. Die Runen in seinen Handflächen brannten wie Feuer. Er unternahm keinen Versuch, den anderen zu helfen, die Fähre unter Kontrolle zu bringen. Hilflos dem Spiel der Wellen preisgegeben, trudelte und schlingerte das Floß und drehte sich im Kreis, trieb aber eindeutig dem jenseitigen Ufer entgegen.
    Ein Stoß ließ die Männer übereinanderpurzeln, die Fähre bekam Schlagseite und kenterte. Die Krieger, die ihnen am Ufer gefolgt waren, stürzten ins Wasser, um ihren gesīp zu Hilfe zu kommen. Ansgar packte Gernholt, der hilflos mit seinem Arm im Wasser ruderte, und zog ihn an Land. Durchnässt und prustend gelang es allen, sich zu retten.
    Hagen beachtete weder das Wasser, das in Strömen an ihm herablief, noch Gislher, der ihn anschrie, weil er keinen Finger zu ihrer Rettung gerührt hatte. Grimmig zog er seine Streitaxt und trat an die Fähre, die von einigen beherzten Kriegern geborgen worden war. Die Männer wichen vor ihm zurück. Mit gewaltigen Hieben schlug der Waffenmeister auf das Floß ein. Die Schneide fraß sich in die Planken, Holz splitterte. Binnen kurzem war die Fähre zertrümmert, und Hagen stieß die Überreste in den Fluss zurück. Keuchend drehte er sich um.
    Schockiert hatten die Niflungen seinem Zerstörungswerk zugesehen. Jetzt wichen sie seinem Blick aus. Einzig Gislher wagte es, ihren Gedanken zornigen Ausdruck zu verleihen. »Wie sollen wir bei der Rückkehr übersetzen?«, brüllte er den Waffenmeister an.
    »Für uns wird es keine Rückkehr geben«, antwortete Hagen. »Für keinen von uns.«
5
    Es dunkelte bereits, als sie den schmalen Weg erreichten, der zur Burg Bakalar führte. Diejenigen, die ein unfreiwilliges Bad im Rhein genommen hatten, froren. Hagen war ein Stück vorausgeritten, um den Weg zu erkunden, und entdeckte einen Mann im Gras, der sich nicht rührte. Lautlos glitt der Waffenmeister vom Rücken seines Reittieres und näherte sich der reglosen Gestalt mit gezogenem Schwert. War der Mann tot, dass er das Klappern der Hufe nicht gehört hatte? Oder war dies eine Falle?
    Dann erkannte er Eckewart, der vernehmlich schnarchte. Er setzte ihm sein Schwert an den Hals und sagte: »Als Wachtposten taugt Ihr nichts, Sachse! Wären wir Feinde, wäret Ihr jetzt tot.«
    Unsanft aus dem Schlaf geschreckt wollte Eckewart aufspringen, bemerkte jedoch noch rechtzeitig die Klinge an seiner Kehle. Dann erkannte er den Mann am anderen Ende des Schwertes. Hagen! Der Dämon, der seinem für unbesiegbar geltenden Herrn den Tod gebracht hatte! Er hatte gehofft, ihm nie wieder zu begegnen. Der Waffenmeister steckte sein Schwert in die Scheide. Eckewart rappelte sich auf. »Ich habe zwei Nächte gewacht und nach Euch Ausschau gehalten«, verteidigte er sich. » Frōho Rodinger erwartete Euch eher, weil der hunische Skop Eure baldige Ankunft ankündigte. Heute übermannte mich die Müdigkeit.«

Weitere Kostenlose Bücher