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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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kümmerte sich nicht weiter um ihre Blicke und nahm die Ruderstange in die Hand. Er hatte den Fährmann bei seiner Arbeit beobachtet und traute sich zu, dessen Aufgabe zu übernehmen. Die Stange schien ihre Funktion schon eine ganze Weile zu erfüllen, sie musste also das nötige Heil in sich tragen. Er konnte ihr vertrauen. Hagen löste das Tau und stieß das Floß vom Land ab. Ruhig ruderte er in die Mitte des Flusses, wobei er sich weitgehend von der Strömung treiben ließ, und weiter bis ans andere Ufer. Hier hieß er die Männer aussteigen und ruderte das leere Floß zurück, erneut die Strömung ausnutzend. Flussabwärts wartete Ansgar auf ihn; Gunter hatte ihn vorausschauend mit zwei Pferden dorthin geschickt. Hagen warf ihm das Tau zu, das dieser zwischen den Tieren befestigte. Dann ergriff Ansgar die Zügel der Pferde, und so wurde das Floß wieder flussaufwärts gezogen.
    Den halben Tag lang schafften sie auf diese Weise die Krieger in kleinen Gruppen ans andere Ufer, immer eines plötzlichen Angriffs gewärtig, der jedoch ausblieb. Hagen brachte es im Rudern zu einer gewissen Geschicklichkeit. Er ließ nicht zu, dass ihn jemand ablöste, und machte auch keine Pause. Unermüdlich setzte er die Niflungen über und erholte sich in der Zeit, da die Pferde das Floß flussaufwärts schleppten.
    Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Hagen für die letzte Überfahrt landete. Auf Gunters Anweisung wurden die Pferde in den Fluss getrieben und am anderen Ufer von den dort wartenden Kriegern in Empfang genommen.
    Die Männer, die sich noch auf dem diesseitigen Ufer befanden, begaben sich auf das Floß, darunter auch der Mönch. »Es wird doch tragen, nicht wahr?«, fragte er ängstlich. »Ich kann nämlich nicht schwimmen.«
    Gislher verdrehte die Augen, Gernholt brach in Gelächter aus.
    »Es ergab sich keine Gelegenheit, es zu lernen«, verteidigte sich der Mann und betrat vorsichtig die schwankenden Holzplanken, um sich in der Mitte niederzulassen und die Augen zu schließen. Wahrscheinlich betete er.
    Gunter war der Letzte, der an Bord ging.
    Hagen stieß das Floß ab. Seine Muskeln protestierten, aber er kümmerte sich nicht darum. Er dachte an sein nächtliches Erlebnis. Immer wieder wanderte sein Blick zu dem Mönch. Er würde der einzige Überlebende sein, hatten die Nornen gesagt   …
    In der Mitte des Flusses, wo die Strömung am stärksten war, brachte eine ungeschickte Bewegung das Floß ins Trudeln. Hagen, der sich in seiner Arbeit allzu sicher fühlte, war unachtsam geworden. Hastig versuchte er gegenzusteuern, mit dem Ergebnis, dass das Ruder brach. Schreiend verlor der Mönch das Gleichgewicht. Hagen hätte nur zuzugreifen brauchen, um ihn festzuhalten, doch vor seinem geistigen Auge sah er die Niflungen in ihrem Blut liegen, während der Anhänger des Christengottes gesund nach Hause zurückkehrte. Dann verschob sich das Bild, und er sah sich und die anderen feiern, während der Mönch ertrunken auf dem Grunde des Flusses lag. Die perthrō -Runen brannten in seinen Händen. War es möglich, den Schicksalsspruch der Nornen abzuwenden? »Festhalten!«, schrie Gunter, aber Hagen beachtete den Ruf nicht. Wie gebannt sah er zu, wie der kleine Mann mit den Armen ruderte, Übergewicht bekam und in die eisigen Fluten stürzte.
    Hilflos trudelte das Floß in der Strömung. Männer taumelten, Gunter erteilte fluchend Befehle, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Hagen nahm nichts von alledem wahr. Sein Auge war auf den einen Punkt fixiert, an dem der Mönch verzweifelt mit den Wellen kämpfte, unterging, wieder auftauchte, unterging, wieder auftauchte. Fiebrig suchte der Waffenmeister das schäumende Wasser nach den darin wohnenden Dämonen ab. Holt ihn euch! , dachte er inbrünstig. Verschlingt ihn!
    Der Dicke unternahm eine verzweifelte Anstrengung, auf die Fähre zurückzukehren, die überraschend in seine Reichweite geraten war. Er trat um sich, streckte die Hand nach dem Holz des Floßes aus und klammerte sich daran fest. Hagen packte den Schaft des gebrochenen Ruders und schlug ihm damit auf die Finger, bis der Mann schreiend losließ und in die Fluten zurückstürzte. Gunter brüllte irgendetwas, das der Waffenmeister nicht verstand. Mit distanziertem Interesse beobachtete er, wie die Wellen über dem Mönch zusammenschlugen. Dann glaubte er, in der Gischt schilfbehangene Gesichter zu erkennen. Die Wassergeister des Rheins hatten ihr Opfer erspäht!
    »Was hast du getan?«, schrie Gislher,

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