Der Ruf Der Walkueren
einmal darum gebeten, ihr König zu sein. Mit welchem Recht zwangen ihm alle einen Weg auf, den er nicht gehen wollte? Mit welchem Recht verlangten die Nornen Unmenschliches von ihm, während sie sich geweigert hatten, ihm den einzigen Wunsch zu erfüllen, der ihm je etwas bedeutete? Voll Zorn warf er sich erneut in den Kampf und fügte den Friesen schwere Verluste zu. Doch währenddessen starben um ihn herum seine Gefolgsmänner, bis er zuletzt allein unter seinen Feinden stand.
»Gebt auf, König Gunter!«, rief Osid.
»Niemals! Solange ich atme, werde ich kämpfen.«
Osid ließ seine Krieger vorwärtsstürmen. Im Hagel der Hiebe stand der Niflungenkönig wie ein Fels in der Brandung. Doch dann wurde ihm sein rechter Daumen abgeschlagen. Polternd fiel das Schwert aus seiner Hand. Sofort stürzten sich die Friesen von allen Seiten auf den Wehrlosen und nahmen ihn gefangen.
Die Schlacht war vorerst vorbei. Der verbliebene Rest der Niflungen hatte sich wieder hinter die schützenden Mauern des Apfelgartens zurückgezogen, die Hunen, nicht minder angeschlagen, waren froh, es für den Augenblick dabei zu belassen, die Ausgänge zu bewachen. Viele hundert Erschlagene lagen vor und hinter dem Durchbruch. Das Gras war nass von ihrem Blut. Kaum einen Schild gab es, der ganz geblieben war, Eisenbuckel rollten zerbeult über den Boden. Zerborstene Tische und Bänke lagen zwischen den Leichen. Überall verstreut fanden sich die Reste des Festmahls und trugen auf ihre Weise dazu bei, dass der Garten einem Flickenteppich glich. Eine Krähe landete auf einem leblosen Körper und grub ihre Klauen in sein Fleisch. Rauchschwaden erloschener Lagerfeuer trieben zwischen den Bäumen umher. Es war still.
Still.
4
Das Klirren der Waffen war dem Stöhnen der Verwundeten gewichen. Mit ihren Dienerinnen ging Grimhild umher, um Verletzungen zu behandeln. Sie stillte Blutungen durch Einlegen von Moos unter die Verbände, zermahlene Heilpflanzen sorgten für schnellere Gerinnung. In besonders schlimmen Fällen betropfte sie das rohe Fleisch mit siedendem Pech, damit die Wunde sich zusammenzog. Die Dienerinnen legten feste Verbände aus Leinenstoff an. Tee und Aufgüsse aus Weidenrinde oder gehackten Gänseblümchen vervollständigten die Behandlung.
Besorgt blickte Grimhild zum Himmel. Es wurde dunkel, bald würde es für einen Angriff zu spät sein. Und Hagen war immer noch am Leben! Sie entdeckte ihren Vetter, der eine leichte Verletzung am Arm behandeln ließ, und ging zu ihm. »Du bist ein guter Kämpfer, Irung! Ich sah, wie du Hagen eine Wunde beibrachtest. Wärest du nicht von ihm getrennt worden, hättest du ihn getötet.«
Ihr Lob erfüllte ihn mit Stolz. »Ich wünschte, ich bekäme eine zweite Gelegenheit!«
»Geh in den Garten und töte ihn für mich«, sagte sie leidenschaftlich, »und ich will deine Brünne mit Gold füllen! Du sollst von mir bekommen, was immer dein Herz begehrt!«
Irung sah sie lange an. Es schien, als wolle er etwas sagen, aber dann überlegte er es sich anders. »Für dich würde ich alles tun, Grimhild! Ich werde dir Hagens Kopf bringen.« Er legte seine Brünne wieder an.
Osid sah, wie er sich zum Kampf rüstete, und vertrat ihm den Weg. »Wohin willst du? Es ist gefährlich, sich dem Garten zu nähern.«
»Ich werde Hagen erschlagen.«
»Du hast nicht das Heil, dich mit ihm zu messen. Hagen kämpft wie ein Dämon.«
»Ich habe ihm eine Wunde zugefügt.«
»Ich sah es. Hagen war abgelenkt und wurde von einem Dutzend anderer Männer bedrängt.«
»Ich brauche keine Hilfe, um einen Neiding zu töten.« Irung schob den Friesen einfach beiseite. Kurz nickte er Grimhild zu. »Ich werde dir hinterher sagen, was mein Herz begehrt.« Dann ging er zur Gartenmauer.
Mutlos saßen die Niflungen herum und gaben sich düsteren Gedanken hin. Ihr König gefangen – das war ein schlechtes Zeichen. Sein Königsheil musste schwach sein. Und das bedeutete, dass sie selbst dem Tode geweiht waren, denn wie konnten sie hoffen, dass ihr geringes Heil ausreichte, wo das ihres Königs scheiterte? Unermüdlich ging Hagen zwischen den Männern umher und sprach ihnen Mut zu. Er war nicht sehr erfolgreich, zumal die Ungewissheit über Gunters Schicksal an ihm nagte. Am liebsten hätte er versucht, ihn zu befreien, aber er besaß genug Verstand, es zu unterlassen.
»Hagu, Vorsicht!«
Der Waffenmeister zog sein Schwert und wirbelte herum. Fassungslos sah er Andvari keine drei Schritt von sich entfernt zu
Weitere Kostenlose Bücher