Der Ruf Der Walkueren
ihre Hoffnungen zerstört. »Hagen!«, schrie sie, dass es im Garten widerhallte. »Ich verfluche dich! Möge dein Schwert nie schneiden, außer wenn es dir selbst Verderben bringt! Dein Leichnam soll Wölfen zum Mahl dienen, Raben sollen dein Herz hacken und Aare sich um dein Aas streiten!«
Attala musste sie gewaltsam aus der Gefahrenzone schaffen lassen, denn die Niflungen, die den Zweikampf verfolgt hatten, griffen nun zu ihren Waffen und warfen sich auf die Feinde. Der Ausgang des Kampfes schien ihnen wie ein gutes Omen. Hagens Heil war siegreich gewesen gegen einen heimtückischen Gegner. Noch war nichts verloren!
Hagens einziger Gedanke galt seinem Halbbruder. Er ließ das Schwert fallen und eilte zu dem reglos daliegenden Schwarzalben. Mit einem Blick erkannte er, dass jede Hilfe zu spät kam. Die Axt hatte eine hässliche Wunde in Brust und Bauch gerissen und lebenswichtige Organe zerstört. Es war ein Wunder, dass Andvari überhaupt noch atmete. Mit einer Behutsamkeit, die ihm niemand zugetraut hätte, bettete Hagen den Kopf seines Halbbruders auf das Wolfsfell, das er eilig von seiner Schulter gerissen hatte. »Was machst du hier?«, fragte er, ohne den Irrwitz seiner Frage zu bemerken. »Wo kommst du her? Ich habe dich nicht kommen sehen.«
»Wann hättest du mich je kommen sehen, Hagu? Hast du ihn besiegt?«
Der Waffenmeister nickte stumm, während er auf den tiefen Graben starrte, den Irungs Beil gerissen hatte. Andvari musste gesprungen sein, um die für ihn bestimmte Axt abzufangen.
»Im ehrlichen Kampf hatte er nie eine Chance gegen dich.«
Vorsichtig bog Hagen einen Hautlappen zurück und sah die Schneide der Axt im Herzen seines Halbbruders stecken. Das Leben floh ihn bereits. Nur Albenzauber hielt es noch in dem zerbrochenen Körper.
»Ich weiß, wie es um mich steht. Ich fühle, wie die Axt mein megin frisst.«
Hagen zog seinen Dolch und ritzte sich nach Albenart zwei parallele blutige Streifen unter die Augen, unter das gesunde ebenso wie unter die leere Höhle. »Warum hast du das getan?«, wollte er wissen. »Warum hast du die Axt abgefangen?«
»Du bist mein Bruder.«
»Schwarzalben fühlen sich nur dem Hort und ihrer Sippe verpflichtet, aber keinem Einzelnen. Schon gar nicht einem Menschen.«
»Wenn du es sagst …« Trotz seiner Schmerzen brachte Andvari ein Grinsen zustande. »Vielleicht hat dein Blut abgefärbt und ich bin zur Hälfte ein Mensch geworden? Es fühlt sich weniger schlimm an, als ich dachte.«
Eine Weile sagten beide nichts. Hagen bemühte sich, die Blutung zu stoppen, aber es gelang ihm nicht. Hilflos musste er zusehen, wie Andvaris Leben unter seinen Händen verrann. Um ihn herum hatte das Morden wieder begonnen, aber er bemerkte es nicht einmal.
Der Schwarzalbe griff nach seinem Handgelenk und hielt es trotz seiner Verwundung mit einer solchen Kraft umklammert, dass der Waffenmeister sich dem Griff nicht entziehen konnte. »Lass den Hort nicht in die Hände der Menschen fallen!«, flüsterte er. »Es sind Steine von großer Macht darunter.« Er hustete und spuckte Blut.
»Mach dir darum keine Sorgen! Der Schatz liegt sicher. Du hast es gesehen.«
Andvari ließ ihn los. »Ja«, bestätigte er mit schwächer werdender Stimme, »ich habe es gesehen. Du hast mich gespürt, Hagu. Wie ein Albe.« Ein neuerlicher Hustenschauer unterbrach ihn. »Lass den Hort auf dem Grund des Rheins ruhen, wo ihn die Flussgeister für uns bewachen.«
»Du hättest das nicht für mich tun dürfen«, flüsterte Hagen. »Ich bin ohnehin verloren. Der Tod wäre mir willkommen gewesen.«
»Wen versuchst du zu betrügen, Hagu? Ich kann das Licht in dir sehen, auch wenn du glauben willst, dass da nur Dunkelheit ist.«
Hagen schluckte, unfähig, etwas zu erwidern.
Lange Zeit schwiegen sie. Andvaris Leben entfloh, und während um sie herum der Kampf tobte, blieb Hagen nichts weiter, als seinem Bruder bei dessen letzten Herzschlägen Beistand zu leisten. Als er schon glaubte, dass Andvari nichts mehr sagen würde, umklammerte der noch einmal seine Hand und zwang ihn zu seinem Ohr hinab. »Lass meinen Namen nicht vergessen sein!«, flüsterte er. »Falls du wider Erwarten doch noch bei der Unheilbringerin liegst und ihr einen Sohn schenkst … lass mich in seinem Namen fortleben!«
Jetzt konnte Hagen nicht verhindern, dass eine Träne in sein Auge trat. »Das werde ich«, versprach er mit rauer Stimme. Bis er merkte, dass Andvari ihn nicht mehr hören konnte. Wie eine zitternde
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