Der Ruf Der Walkueren
hervor, der seine persönlichen Schätze barg. Sorgsam legte er den Ring zu der Kralle, die er dem toten Drachen abgehauen hatte. Vorbei , echote eine Stimme in ihm, und er musste sich dazu zwingen loszulassen. Im gleichen Moment fühlte er sich, als wäre eine Last von ihm gefallen. Er band den Beutel zu und warf ihn achtlos neben das Bett. Dann schenkte er Grimhild sein jungenhaftes Grinsen.
Sie schmiegte sich an ihn. »Lass uns abreisen. Gleich morgen.«
»Warum so eilig?«
Sie sah ihn mit unschuldigem Blick an. »Ich möchte dein Land und deine Sippe kennenlernen.«
Grimhilds Eile gefiel ihm. Außerdem war er selbst begierig darauf, seine Sippe wiederzusehen und ihnen seine Frau zu präsentieren. »Gut. Morgen reiten wir.«
Zum ersten Mal seit Sigfrids Geheimnis war ihr Herz wieder leicht. Mit einer einzigen Bewegung entledigte sie sich des Nachtgewandes und schmiegte sich an ihren Mann, bereit, noch einmal einen kleinen Tod in Wodans Ekstase zu riskieren.
12
Unbehaglich sah Gunter den Reisevorbereitungen zu und gestand sich ein, dass er froh war, Sigfrid los zu sein. Nicht nur, weil der Sachse sein intimstes Geheimnis kannte. Inzwischen gesellte sich ein schlimmer Verdacht dazu. Als Gunter sich an diesem Morgen vom Lager erhob, war ihm das Blut aufgefallen – neben dem Bett, nicht dort, wo er seiner Frau beigelegen hatte. Sollte Sigfrid weiter gegangen sein als abgesprochen? Hatte er Brünhild das Magdtum genommen? Unmöglich! Der Sachse war sein Bruder, durch erdmegin mit ihm verbunden. Sie hatten einen Blutschwur geleistet, vor den Göttern. Dennoch … Er entsann sich der übermäßig langen Zeit, bis Brünhild angeblich überwältigt worden war, und des Fehlens von Kampfgeräuschen. Zuerst hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht, aber nun, im Licht des neuen Tages … Brünhild hatte keinen Schmerz verspürt, als er ihr beilag. Vermutungen, nichts weiter. Und außerdem war er so dumm gewesen, den Sachsen praktisch in das Schlafgemach seiner Frau einzuladen. Wenn dort etwas Unehrenhaftes geschehen war, hatte er es nicht besser verdient. Aber nein, er wollte nicht glauben, dass Sigfrid sich eines Verrates schuldig gemacht hatte.
Viel gesīp hatte sich eingefunden, um die Reisenden zu verabschieden. Der Geleittrupp, der sie sicher zu König Sigmunds Burg bringen würde, stand unter Volkers Führung bereit. Sigfrid und Eckewart brachten ihre Dankbarkeit gegenüber der ihnen erwiesenen Gastfreundschaft zum Ausdruck. Grimhild war von einer Menschentraube umringt und umarmte jeden einzelnen mit Tränen in den Augen. Oda gab ihr eine Reihe überflüssiger Ratschläge mit auf den Weg, wie sie Mütter seit Anbeginn der Zeit für nötig erachteten.
Hagen hatte eigentlich nicht herauskommen wollen, aber dann sagte er sich, dass es befremdlich aussehen würde, und darüber hinaus … so schwer es ihm fiel, er konnte Grimhild nicht ohne ein letztes Lebewohl gehen lassen. Er wartete, bis Gislher sie aus seinen Armen freigab, und machte sich durch ein Räuspern bemerkbar. »Grimhild, du … ich … nun, ich wünsche dir Heil.«
»Hagen!« Sie fiel ihm um den Hals wie allen anderen.
Er verzog das Gesicht, als die zahlreichen Splitter, die zu entfernen ihm nicht gelungen war, sich tiefer in seine Haut bohrten. Linkisch legte er seine Arme um sie und fühlte ihre Wärme. Hätte es in seiner Macht gestanden, er hätte die Zeit angehalten, um so für immer mit ihr vereint zu sein.
Brünhild vermisste den Armring, den Sigfrid ihr einst als Liebespfand gab, das Kostbarste, was sie besaß. Sie durchsuchte den Raum nun schon zum dritten Mal, ehe sie es aufgab. Gunter musste ihn ihr gestern Nacht genommen haben, als … als er … Unwillig schüttelte sie den Kopf. Sie wollte nicht daran denken.
Wenn er ihr das Schmuckstück entwendet hatte, konnte das nur bedeuten, dass er wusste, dass es das Pfand von Sigfrids Liebe war. Und wenn er das wusste … Es schmerzte, den Gedanken zu Ende zu denken. Wenn er das wusste, musste er es von Sigfrid erfahren haben. Was nichts anderes hieß, als dass die beiden im Einverständnis miteinander waren. Das konnte nicht sein! Dazu war er nicht fähig! Er musste ihr endlich eine Erklärung geben, sonst wurde sie noch verrückt. Lange genug hatte sie auf ein Zeichen von ihm gewartet, jetzt würde sie die Erklärung von ihm fordern!
Sie stürmte aus dem Gemach und rannte beinahe Irmgard um. »Wo ist Sigfrid?«, fauchte sie.
»Er … sie reiten
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