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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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Meister.«
2
    Die Vögel des Waldes weckten ihn wie jeden Morgen. Einen Augenblick brauchte Sigfrid, um sich zu orientieren. Dann erinnerte er sich, wo er sich befand, und musste grinsen. Er war nun Schmiedelehrling! Eilig sprang er auf, lief nackt zum Bach hinunter und stürzte sich in das eiskalte Wasser, das ihn mit einem Schlag wach machte. Prustend tauchte er wieder auf, trocknete sich mit einem Stück Leinentuch ab und zog seine Kleidung an, die bereits ebenso rußig und versengt war wie Mimes. Dann machte er sich an die Arbeit. Seine erste Pflicht am Morgen bestand darin, das Feuer in Gang zu bringen. Heute war Sigfrid mit besonderem Eifer bei der Sache, denn Mime hatte gestern angekündigt, dass er ein Damaszenerschwert schmieden wolle. Der Junge legte die glimmende Glut frei, indem er die Asche entfernte, mit der er sie am Abend zuvor bedeckt hatte, schichtete Holz und kleine Zweige darüber und entfachte die Flamme durch Betätigen der Blasebälge von neuem. Sowie das Feuer brannte, ergriff er zwei Eimer und holte frisches Wasser vom Bach.
    Als er zurückkam, stand Mime schon am Schmiedeofen und prüfte die Metallstücke, die er verwenden wollte. Ohne dass er dazu aufgefordert werden musste, machte sich Sigfrid an den Blasebälgen zu schaffen, während er den Schmied beobachtete. Hielt er stumme Zwiesprache mit dem Erz? Schmiede galten als Meister des Feuers und wurden gefürchtet und verehrt. Sie standen in besonderer Nähe zu den Göttern. Ahmten sie nicht mit ihrem Schlag auf den Amboss die Gesten Donars nach? War nicht ihr Schmiedehammer mit einer geheimnisvollen Macht geladen, mit der Macht, die Natur der Dinge zu verändern?
    Mime bestätigte seine unausgesprochene Frage. »Wenn du aus einem Stück Eisen etwas Neues erschaffen willst, musst du eines Sinnes mit ihm werden«, sagte er. »Im Eisen wohnt noch immer die Seele des Steins, der er einst war. Du musst seine Eigenarten respektieren. Du musst dich mit seinem megin anfreunden.«
    Er nahm je einen der Stahl- und Eisenstäbe, die sie gestern vorbereitet hatten, und hielt sie mit einer Zange ins Feuer, bis sie heiß genug waren. Dann legte er sie auf den Amboss und schlug den Schmiedehammer gleichmäßig auf das rot glühende Metall. Die Muskeln seines Körpers boten ein eindrucksvolles Schauspiel. Wenn er arbeitete, war der Schmied wie verwandelt. Der Ausdruck von Liebe und die Konzentration ließen sein mürrisches Gesicht beinahe schön erscheinen. Selbst seine schwieligen Hände sahen zart aus.
    Das Metall erkaltete rasch, und Mime war gezwungen, es erneut in die Flammen zu halten. Das Feuer loderte hoch, von einem Luftstoß getroffen. Sigfrid trat abwechselnd von einem Blasebalg auf den anderen und zog schwitzend an der Seilkonstruktion, die dazu diente, die Bälge wieder mit Luft zu füllen. Die Tondüsen reichten bis an zwei durchlöcherte Steine der Schmelzgrube, die verhinderten, dass der Blasebalg Feuer fing, und waren so gerichtet, dass der Luftzug seine höchstmögliche Wirkung entfalten konnte. Sigfrid hustete. Qualm brannte in seinen Augen. Der Rauch zog heute nicht besonders gut ab.
    »Das megin eines Steins ist ganz anders als das eines Mannes oder eines Baumes«, fuhr der Schmied fort, während er darauf wartete, dass der Stab die gewünschte Hitze erreichte. »Das megin eines Baumes drängt nach Licht und Sonne, es ist nachgiebig und anpassungsfähig. Das megin eines Mannes drängt nach Kampf und Ehre und ist in der Lage, sich selbst zu formen. Steine leben in der Dunkelheit, im Schoß der Erde. Es ist ein völlig anderer Instinkt, der sie leitet und ihnen ihre Trägheit und ihre Härte gibt.«
    Mime fügte weitere Stäbe hinzu, insgesamt vier aus Eisen und drei aus Stahl, und schweißte sie abwechselnd durch geschicktes Hämmern zusammen. Jeder ausgeführte Schlag hatte zugleich etwas Lockendes, Werbendes, als wolle der Schmied das Metall ermuntern, sich dem Hammer hinzugeben. »Eisen lässt sich nicht zum Sklaven machen. Wenn du nimmst, ohne zu geben, wenn du ihm gewaltsam eine Form aufzuzwingen versuchst, wird es sich dir widersetzen. Du musst einen Teil deiner eigenen Seele hineinfließen lassen, deinen Schweiß, dein Blut.«
    Die Luft war gesättigt mit verdunsteter Körperflüssigkeit, Staub und Qualm. Die schwere Arbeit strengte Sigfrid an, und die ungewohnte Hitze tat ein Übriges, um ihm den Schweiß in Bächen in die Augen rinnen zu lassen. Darüber hinaus machte ihm der Gestank zu schaffen. Der Schmied hingegen schwang

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