Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
Kapitel
S ilas VanDyke war enttäuscht. Die Berichte, die er soeben gelesen hatte, hatten ihm den Vormittag gründlich verdorben. Nun versuchte er, den Tag zu retten, indem er seinen Lunch auf der Terrasse hoch über dem Meer einnahm.
Der Blick, der sich ihm bot, war wirklich spektakulär. Dazu gesellten sich das Tosen der Brandung und die Musik von Chopin aus Lautsprechern, die geschickt in der Pracht seines tropischen Gartens versteckt waren. VanDyke nippte an seinem Champagner und stocherte in dem exotischen Fruchtsalat herum. Nicht mehr lange, und seine derzeitige Gefährtin würde von ihrem Einkaufsbummel zurückkehren.
Natürlich würde sie nur zu gern dazu bereit sein, ihn mit nachmittäglichem Sex abzulenken, aber dazu war er einfach nicht in der Stimmung.
VanDyke war ganz ruhig, hatte sich immer noch unter Kontrolle, aber er war enttäuscht.
Tate Beaumont hatte ihn verraten, und das nahm er sehr persönlich. Immerhin hatte er ihre Entwicklung so aufmerksam verfolgt wie die einer seiner sorgfältig gehegten Blüten. Wie ein gutmütiger Onkel hatte er ihre Karriere unterstützt, selbstverständlich anonym. Dankbarkeit war jedoch nicht das, was er wollte.
Nur Loyalität.
Ihre Arbeit auf der Nomad hätte sie auf ihrem Fachgebiet nach ganz oben gebracht. Zudem hätte sie dank ihres Aussehens, ihrer Begeisterungsfähigkeit und ihrer Jugend kompetente, anerkannte Wissenschaftler wie Hayden Deel mit
Leichtigkeit in den Schatten gestellt. Und sobald sie die Spitze erreicht hätte, wäre er, VanDyke, aus dem Hintergrund getreten, um ihr die Welt zu Füßen zu legen.
Sie hätte seine Expeditionen geleitet, über seine Labore, sein Geld, seine beste Ausrüstung verfügen können. Sie hätte sich an der Suche nach dem Fluch der Angelique beteiligt. Seit jenem Tag vor acht Jahren, als sie ihm an Deck der Triumphant gegenübergestanden hatte, war ihm instinktiv bewusst, dass sie das Verbindungsglied war. Im Laufe der Jahre hatte er erkannt, dass sie ihm vom Schicksal als Zeichen, als Symbol gesandt worden war. Und er hatte sie beobachtet und ruhig auf den richtigen Augenblick gewartet.
Mit ihr würde es ihm gelingen, daran bestand kein Zweifel.
Aber sie hatte ihn verraten, hatte ihren Posten verlassen.
Er biss die Zähne zusammen. Schweiß lief heiß über seine Haut. Die Wut beeinträchtigte sein Sehvermögen und überwältigte ihn so plötzlich, dass er das Kristallglas über die Mauer ins Meer schleuderte, den Tisch umstieß und Porzellan, Silber und köstliche Früchte auf die Terrasse purzelten.
Dafür würde sie bezahlen. Ihn zu verlassen, war ein Vergehen, das schwer geahndet wurde. Ein tödliches Vergehen. Seine Nägel gruben blutige Spuren in seine Handfläche. Außerdem würde sie dafür bezahlen, dass sie den schlechten Geschmack bewiesen hatte, sich noch einmal mit seinen Gegnern einzulassen.
Sie glauben, sie haben mich überlistet, dachte VanDyke wütend und lief auf der Terrasse auf und ab. Dabei riss er eine seidige Hisbiskusblüte von einem Busch. Sie hatten einen Fehler begangen. Tate hatte einen Fehler begangen.
Sie schuldete ihm Loyalität, und die würde er bekommen. Er bestand darauf. Ein Grinsen zog sich über seine Lippen, und er zerfetzte die zarte Blüte. Dann riss er noch eine ab und immer mehr, bis der Busch und sein teurer Anzug gleichermaßen ruiniert waren.
Sein Atem ging schwer, und ihm war schwindlig vor Wut, doch dann konnte er sich endlich wieder konzentrieren. Als der Nebel vor seinen Augen verschwand, betrachtete er die Überreste seines Mittagessens, die Scherben auf den Fliesen. Sein Kopf schmerzte unerträglich, und seine Hände bluteten.
Er konnte sich nur noch vage daran erinnern, was diese Zerstörungswut ausgelöst hatte, wusste nur noch, dass ihn eine schwarze Wolke eingehüllt hatte.
Wie lange? fragte er sich panisch. Wie lange hatte der Anfall gedauert?
VanDyke sah unruhig auf die goldene Uhr an seinem Handgelenk, aber er hatte keine Ahnung, wann der Stimmungsumschwung über ihn hereingebrochen war.
Es ist bedeutungslos, beruhigte er sich. Die Dienstboten würden nichts sagen, wie üblich würden sie nur das denken, was er ihnen zu denken befahl. Keinesfalls war er für dieses Durcheinander verantwortlich.
Sie waren daran schuld, machte er sich bewusst. Die Lassiters. Die Beaumonts. Er hatte einfach nur auf seine große Enttäuschung reagiert, wenn auch vielleicht ein wenig heftig. Wenigstens konnte er jetzt wieder seinen Verstand gebrauchen. Wie er es immer
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