Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
tat und immer tun würde.
Sobald er sich wieder beruhigt hatte, würde er nachdenken und einen Plan schmieden. Er würde ihnen Zeit geben, beschloss er, sie in Sicherheit wiegen. Aber dann würde er sie vernichten. Diesmal würde er sie ganz vernichten, weil sie an seiner Würde gekratzt hatten.
Ich will nicht die Kontrolle verlieren, sagte VanDyke sich und atmete langsam und bewusst durch. Sein Vater war nicht dazu in der Lage gewesen, seine Mutter zu kontrollieren, und seine Mutter war nicht imstande, sich selbst zu kontrollieren.
Aber er hatte sich Stärke und Willenskraft beigebracht.
Jetzt lief er Gefahr, beides zu verlieren, und er fürchtete sich, wie ein Kind sich davor fürchtet, im Schrank eingesperrt
zu werden. Es gab Ungeheuer, und er musste sich beherrschen, um nicht den Garten nach ihnen abzusuchen. Die Ungeheuer der Dunkelheit, die Ungeheuer des Zweifels, des Versagens.
Er lief Gefahr, die Selbstkontrolle zu verlieren, an der er so lange und so hart gearbeitet hatte.
Der Fluch der Angelique. Inzwischen wusste er, war er sich sicher, dass das Amulett die Lösung war. Mit ihm würde er stark, furchtlos und mächtig sein. Er glaubte, dass die Seele der Hexe in diesem Amulett lag. Davon war er überzeugt, oh ja, und er fragte sich, warum er je daran gezweifelt, es für nicht mehr als ein wertvolles Schmuckstück gehalten hatte.
Das Amulett war seine Bestimmung. Er lachte kurz auf und zog mit zitternden Fingern ein Leinentaschentuch heraus, um sich das Gesicht abzuwischen. Seine Bestimmung, vielleicht sogar seine Rettung. Ohne das Amulett würde er erfahren, was Versagen bedeutete. Er würde hilflos in der schwarzen, kalten Welt seiner ohnmächtigen Wut gefangen sein. Das Amulett war sein Ausweg. Vorsichtig löste er eine weitere Blüte vom Strauch und streichelte sie sanft, um sich zu beweisen, dass er auch dazu fähig war.
Angeliques Seele lag in dem Metall und den Edelsteinen des Amuletts. Sie hatte ihn jahrelang verfolgt, ihn getrieben und ihn gereizt, indem sie ihn bis zu einem gewissen Punkt und dann keinen Schritt weiter an sein Ziel herangelassen hatte.
Aber er würde sie besiegen, wie seine längst verstorbenen Vorfahren sie besiegt hatten. Er würde siegen, weil er wusste, wie man siegt.
Und was Tate anging … Er zerquetschte die Blüte in seiner Hand und zerriss ihre Blätter mit seinen sorgfältig manikürten Nägeln.
Sie hatte ihre Wahl getroffen.
Die Westindischen Inseln. Tropische Eilande aus Blumen, Pflanzen und hohen Klippen. Weißer Sand glitzerte in der Sonne, blaues Wasser schlug an den Strand, majestätische Palmen wiegten sich im Wind. So stellte man sich das Paradies vor.
Als Tate direkt nach Sonnenaufgang an Deck trat, empfand sie es genau so. Der Kegel des schlafenden Vulkans von Nevis lag im Nebel. Die Gärten und Hütten der Ferienanlage, die seit ihrem letzten Besuch entstanden war, schienen ebenfalls noch zu schlafen. Nichts regte sich, außer ein paar Möwen.
Tate beschloss, im Laufe des Vormittags an Land zu gehen und Vorräte zu besorgen. Aber jetzt würde sie erst einmal in Ruhe schwimmen. Sie glitt ins Wasser, ließ es über ihre Schultern fließen und legte den Kopf in den Nacken. Es war gerade kühl genug, um sie zu erfrischen. Faul trat sie Wasser und bewegte sich dabei im Kreis. Ihr freudiger Seufzer verwandelte sich in einen überraschten Schrei, als sie an einem Bein nach unten gezogen wurde.
Schnaubend tauchte sie wieder auf und starrte in Matthews strahlende Augen hinter der Tauchermaske.
»Ich konnte es mir nicht verkneifen. Eigentlich wollte ich nur eine Runde schnorcheln, da sah ich diese Beine ins Wasser ragen. Du hast wirklich tolle Beine, Rotschopf. Von unten bis oben.«
»Das Meer ist groß, Matthew«, erklärte sie gereizt. »Geh woanders spielen.«
»Warum holst du dir nicht deine Maske und kommst mit?«
»Kein Interesse.«
»Ich habe eine Tüte Kräcker dabei.« Er strich ihr eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. »Hast du keine Lust, die Fische zu füttern?«
Natürlich hatte sie Lust, aber nur, wenn sie von allein auf die Idee kam. »Nein.« Sie drehte sich um und schwamm weiter.
Er tauchte unter ihr durch und kam vor ihrem Gesicht wieder hoch. »Früher warst du nicht so langweilig.«
»Und du nicht so nervig.«
Er passte sich ihrer Geschwindigkeit an. »Natürlich bist du beim Tauchen ein wenig aus der Übung, da du deine Zeit mit Computern und Robotern verbracht hast. Deshalb traust du dich vermutlich nicht zu
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