Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
Tauchen, graben, sammeln. An Bord der Mermaid hämmerten Buck und Marla an Gesteinsformationen herum und förderten Gegenstände ans Licht, die Tate später untersuchte und katalogisierte. Jeder Fund, angefangen bei einem goldenen Knopf mit einer rosafarbenen Süßwasserperle bis hin zu einem dreißig Zentimeter langen Goldbarren, wurde sorgfältig etikettiert, gezeichnet, fotografiert und dann in ihrem Laptop aufgelistet.
Tate nutzte ihre Ausbildung und ihre Erfahrung, um die Funde zu konservieren. Sie wusste, wie leicht ein Wrack in der relativ flachen Karibik verrotten und von Sturm und Wellen weiter verwüstet werden konnte. Das Holz würde von Teredowürmern zerfressen werden.
Zudem wusste sie aber auch, dass die Geschichte eines Wracks an dem Schaden, den es erlitten hatte, nachvollzogen werden konnte.
Diesmal würde sie also dafür sorgen, dass jeder Splitter, der nach oben gebracht wurde, bewahrt würde – dies betrachtete sie als ihre Verantwortung der Vergangenheit und der Zukunft gegenüber.
Kleine, zerbrechliche Gegenstände wurden in Krügen voller Wasser aufbewahrt, um ihr Austrocknen zu verhindern. Größere Stücke wurden fotografiert, unter Wasser gezeichnet und dann auf dem Meeresboden gelagert. Für zerbrechliche Funde, zum Beispiel die hauchdünnen Fläschchen, die sie zu finden hoffte, hatte sie gepolsterte Kisten bereitgestellt. Holzgegenstände kamen in ein kleines Aquarium auf Deck, damit sie sich an der Luft nicht verformten.
Tate ernannte Marla zu ihrem Chemikerlehrling. Die beiden arbeiteten zusammen, indem Tate ihrer Mutter Anweisungen erteilte. Selbst Gegenstände, die einer chemischen Reaktion widerstehen würden, wurden zunächst gründlich mit frischem Wasser gereinigt, getrocknet und dann von Marla sorgfältig mit einer Schicht Wachs versiegelt. Nur Gold und Silber brauchten nicht besonders behandelt zu werden.
Die Arbeit war zeitraubend, wurde Tate aber nie langweilig. Das war es, was sie an Bord der Nomad so vermisst hatte. Die Nähe zu den Objekten und das Erstaunen. Jeder Nagel und jeder Bolzen waren für sie sowohl ein Anhaltspunkt als auch ein Geschenk aus der Vergangenheit.
Markierungen auf Kanonenkugeln untermauerten ihre Vermutung, dass sie tatsächlich die Isabella entdeckt hatten. Tate trug sämtliche Informationen, die ihr über das Schiff bekannt waren, in ihr Logbuch ein, seine Route, seine Fracht und sein Schicksal. Peinlich genau überprüfte sie die Unterlagen wieder und wieder und verglich sie mit jedem neuen Fund.
Inzwischen hatte der Sauger den zerborstenen Schiffsrumpf freigelegt. Die Männer gruben weiter, und Tate zeichnete. Sie beförderten Eimer voller Konglomerat an die Oberfläche. Matthews Sonar lokalisierte schließlich die Ballaststeine, bevor sie mit Augen und Händen fündig wurden. Während Tate an Bord der New Adventure im Deckshaus und an Deck arbeitete, durchsuchten ihr Vater und LaRue den Ballast mühsam nach Gegenständen.
»Liebling?« Marla steckte ihren Kopf durch die Tür. »Willst du nicht eine Pause einlegen? Ich bin mit dem Wachsen fertig.«
»Nein, es geht noch.« Tate fuhr fort, die Zeichnung von einem Rosenkranz mit Details zu versehen. »Ich kann einfach nicht glauben, wie schnell ich vorankomme! Es ist kaum zwei Wochen her, und wir finden immer mehr. Schau nur, Mom, sieh dir die Feinheiten an diesem Kruzifix an!«
»Du hast es schon gesäubert. Das hätte ich doch machen können.«
»Ich weiß, aber ich war zu ungeduldig.«
Fasziniert beugte sich Marla über die Schulter ihrer Tochter und fuhr mit einem Finger über die schwere, silberne Figur des Jesus am Kreuz. »Es ist erstaunlich. Man sieht sogar die Sehnen auf seinen Armen und Beinen, jede einzelne Wunde.«
»Es ist zu fein gearbeitet, um einem Untergebenen gehört zu haben. Jedes Detail passt perfekt zum anderen, eine erstklassige Arbeit. Es wirkt irgendwie maskulin«, dachte sie laut. »Bestimmt hat es einem Mann gehört. Einem der Offiziere vielleicht, oder einem reichen Priester auf dem Weg nach Kuba. Ob er es festgehalten und damit gebetet hat, als das Schiff sank?«
»Was bedrückt dich, Tate?«
»Hmm.« Sie hatte wieder einmal geträumt. »Oh, ich habe an die Santa Marguerite gedacht. Wir hätten sie retten können. Ich meine, das Wrack selbst hätte mit ein wenig Zeit und Mühe konserviert werden können. Es war fast intakt. Ich hatte gehofft, dass wir die Isabella in einem ähnlichen Zustand vorfinden würden, aber leider ist von ihr nicht viel übrig
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