Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
gebracht hatten. Wenn es um ein unbezahlbares Schmuckstück ging, brauchte kein Fluch im Spiel zu sein, um Menschen zu Mördern zu machen.
Das wusste er aus eigener Erfahrung nur zu gut, denn der Fluch der Angelique war das Motiv für den Mord an seinem Vater gewesen.
Aber es war ein Mann, der diesen Mord geplant und ausgeführt hatte.
Silas VanDyke. Wenn er wollte, konnte Matthew sich sein
Gesicht genau vorstellen, die Stimme, die Figur, sogar seinen Geruch. Gleichgültig wie viele Jahre vergangen waren, er hatte nichts vergessen.
Und er wusste, genauso wie er es schon als hilfloser, trauernder Teenager gewusst hatte, dass er eines Tages das Amulett finden und gegen VanDyke benutzen würde.
Um Rache zu nehmen.
Obwohl Matthew über diesen finsteren Gedanken einschlief, träumte er seltsamerweise von Tate.
Er schwamm in unglaublich klarem Wasser, schwerelos, ohne Ausrüstung, graziös und beweglich wie ein Fisch. Tiefer und tiefer, bis die Sonnenstrahlen ihn nicht mehr erreichten. Grüne Fächer bewegten sich, und zwischen bunten, stacheligen Gebilden, die wie Juwelen glänzten, versteckten sich leuchtende Fische.
Er schwamm noch tiefer, bis sich Rot, Orange und Gelb in kühles Blau verwandelten. Hier gab es keinen Druck und keinerlei Notwendigkeit, den Druck auszugleichen. Keine Angst. Nur ein unglaubliches Gefühl der Freiheit und vollkommenen Zufriedenheit.
Hier hätte er für immer bleiben mögen, in dieser stillen Welt, unbelastet von Sauerstoffflaschen oder Sorgen.
Und plötzlich entdeckte er unter sich, wie im Märchen, das versunkene Schiff – die Masten, den Schiffsrumpf, die zerfetzten Flaggen, die in der Strömung wehten. Es lag seitlich auf dem Grund, unversehrt und unglaublich deutlich zu sehen. Er entdeckte Kanonen, die immer noch gegen uralte Feinde gerichtet waren, und das Steuerrad, das auf seinen Geisterkapitän wartete.
Erstaunt schwamm er darauf zu, durch Schwärme von Fischen, an einem Tintenfisch vorbei, der seine Tentakel einzog und unter dem Schatten eines riesigen Rochens das Weite suchte.
Matthew schwamm um das Deck der spanischen Galeone herum, las die stolzen Buchstaben, die sie als die Isabella identifizierten. Über ihm knarrte das Krähennest wie ein Baum im Wind.
Dann bemerkte er Tate. Wie eine Meerjungfrau schwebte sie gerade außerhalb seiner Reichweite, lächelte wie eine Sirene und bewegte ihre wunderschönen, graziösen Hände. Ihr Haar war nicht kurz geschnitten, sondern wehte und wirbelte in langen, seidigen, feuerroten Strähnen um ihre Schultern und nackten Brüste. Ihre Haut strahlte weiß und leuchtend wie eine Perle.
Genau wie ihre Augen, die ihn grün und amüsiert anblickten.
Er fühlte sich hilflos, als ob er in einen Sog geraten wäre, und konnte nicht anders, als auf sie zuschwimmen.
Ihre Arme legten sich wie samtweiche Ketten um ihn. Ihre Lippen öffneten sich und schmeckten süß wie Honig. Als er sie berührte, kam es ihm so vor, als ob er sein ganzes Leben lang auf diesen Augenblick gewartet hätte. Ihre Haut unter seiner Hand, das Zittern ihrer Muskeln, als er sie berührte. Der Schlag ihres Herzens.
Er spürte ihren Seufzer in seinem Mund, spürte die Hitze, die ihn umfing, als er in sie hineinglitt, spürte, wie ihre Beine sich um ihn schlangen und sie ihren Körper zurückbog, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen.
Sie bewegten sich langsam, ihre Empfindungen schienen unendlich. Sie ließen sich treiben und schwebten durch das Wasser in einer lautlosen Vereinigung, die ihn wehrlos, verblüfft und unglaublich glücklich machte. Er fühlte, wie er sich in sie ergoss.
Dann küsste sie ihn sanft, tief und unglaublich liebevoll. Als er abermals in ihr Gesicht sah, lächelte sie. Er streckte die Arme nach ihr aus, aber sie schüttelte den Kopf und glitt weiter. Er folgte ihr, und sie spielten wie Kinder, schwammen um das versunkene Schiff herum.
Sie führte ihn zu einer Schatztruhe, lachte, als sie den Deckel öffnete und ihm das funkelnde Gold zeigte. Münzen glitzerten wie Sonnenlicht, dazwischen lagen riesige Juwelen.
Faustgroße Diamanten, Smaragde größer als ihre Augen, Tümpel aus Saphiren und Rubinen. Die Farben blendeten ihn in dem kühlen Grau der Welt, die sie umgab.
Er fuhr mit seiner Hand in die Truhe, streute sternförmige Diamanten über ihr Haar und brachte sie zum Lachen.
Dann fand er das Amulett, die schwere Goldkette, sah das Blut und die Tränen, mit denen der Anhänger besetzt war. Er spürte die Hitze, die von ihm
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