Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
Strickleiter griff.
Mit mehr Glück als Verstand erwischte er eine Sprosse und richtete sich auf, bevor das Schlauchboot kentern konnte. Bis zu den Knien durchnässt, zog Matthew ihn an Bord. Buck taumelte und winkte den Beaumonts fröhlich zu.
»Ahoi, Adventure! Alles im Lack!«
»Mal sehen, ob du das morgen früh auch noch sagst«, murmelte Matthew und musste Buck fast zu dem winzigen Steuerhaus tragen.
»Das sind gute Menschen, Matthew. Zuerst wollte ich nur ihre Ausrüstung nutzen, sie ausnehmen und mich dann mit dem Löwenanteil aus dem Staub machen. Für uns beide wäre es kein Problem, nachts zu tauchen und die besten Sachen beiseite zu schaffen. Das hätten sie niemals gemerkt.« Die Worte kamen nicht mehr sehr deutlich aus seinem Mund.
»Vermutlich nicht«, stimmte Matthew zu und zog seinem Onkel die feuchte Hose aus. »Ich habe selbst schon daran gedacht. Amateure verdienen es, ausgenommen zu werden.«
»Und wir haben einige ausgenommen«, erinnerte Buck sich wehmütig. »Aber bei dem alten Ray bringe ich das einfach nicht übers Herz. Er ist ein echter Freund. Seit dein Vater tot ist, habe ich keinen so guten Freund mehr gehabt. Und dann seine schöne Frau. Und die hübsche Tochter. Nein.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Leute, die man mag, kann man nicht abzocken.«
Matthew stimmte ihm grunzend zu und betrachtete die Hängematte zwischen der Frontseite der Kabine und der Wand achtern. Er hoffte, dass er Buck nicht hineinzuhieven brauchte. »Du musst jetzt schleunigst in deine Koje.«
»Ja. Bei Ray werde ich mit offenen Karten spielen.« Wie ein Bär, der in seine Höhle klettert, wuchtete Buck sich in die Hängematte. »Wir sollten ihm vom Fluch der Angelique erzählen. Wenn ich es mir genau überlege, bist du der Einzige, der davon weiß.«
»Mach dir darüber keine Gedanken.«
»Aber wenn ich es ihnen nicht erzähle, werden sie vielleicht verschont. Ich will nicht, dass ihnen etwas zustößt.«
»Ihnen stößt schon nichts zu.« Matthew zog seine Jeans aus.
»Erinnerst du dich an das Bild, das ich dir gezeigt habe? Das viele Gold, die Rubine und Diamanten? Man kann sich gar nicht vorstellen, dass etwas so Schönes böse sein kann.«
»Das ist es auch nicht.« Matthew zog sein Hemd aus und schleuderte es ungefähr in die Richtung, in der seine Jeans lagen. Er nahm Buck die Brille von der Nase und brachte sie in Sicherheit. »Und jetzt schlaf, Buck.«
»Vor über zweihundert Jahren haben sie die Hexe verbrannt, und immer noch sterben Menschen wegen ihr. Wie James.«
Matthew biss die Zähne zusammen, und seine Augen verdunkelten sich. »Mein Vater ist nicht von einer Halskette umgebracht worden, sondern von einem Menschen. Von Silas VanDyke.«
»VanDyke.« Buck wiederholte den Namen mit schlaftrunkener Stimme. »Wir konnten ihm nichts beweisen.«
»Es genügt, dass wir es wissen.«
»Der Fluch ist schuld. Der Fluch der Hexe. Aber wir werden sie schlagen, Matthew. Du und ich, wir werden sie besiegen.« Kurz darauf begann Buck zu schnarchen.
Verdammter Fluch, dachte Matthew. Er würde das Amulett
finden. Er würde die Spur seines Vaters verfolgen, bis er es in der Hand hielt. Und wenn es so weit war, würde er sich an dem Hurensohn rächen, der James Lassiter auf dem Gewissen hatte.
In seinen Boxershorts trat er aus der Kabine in die warme, sternenklare Nacht. Der Mond stand wie eine halbierte Münze am Himmel. Matthew ließ sich in seiner Hängematte nieder, so weit entfernt, dass das vertraute Schnarchen seines Onkels nur noch als leises Summen zu ihm herüberdrang.
Es gab eine Halskette, eine Kette aus schweren, goldenen Gliedern, und einen rubin- und diamantenbesetzten Anhänger mit den eingravierten Namen eines unglücklichen Liebespaares. Er hatte das Bild gesehen, die dürftigen Dokumente, auf die sein Vater gestoßen war.
Er kannte die Legende so gut wie ein Märchen, das man als Kind immer wieder erzählt bekommen hat. Eine Frau wurde als Hexe und Mörderin verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ihre letzten Worte waren, dass sie sich an jedem rächen würde, der aus ihrem Tod Kapital schlug.
Unglück und Verzweiflung hatten das Amulett durch die nächsten zwei Jahrhunderte verfolgt. Gier und Lust hatten Männer dazu gebracht, für das begehrte Medaillon zu töten, hatten Frauen zu Intrigantinnen gemacht.
Vielleicht hätte Matthew sogar an die Legende geglaubt, aber im Grunde bedeutete sie nichts weiter, als dass Gier und Lust Unglück und Verzweiflung mit sich
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