Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
Krüppel.«
»Wenn du so weiterredest, gehe ich sofort wieder.«
Zum Streiten war er zu müde. Im Grunde war er sogar fast zu müde, um sich selbst zu bemitleiden. »Vielleicht wäre es das Beste. Du solltest zum Boot zurückgehen. Holt die Beute hoch, bevor es jemand anderes tut.«
»Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen, schließlich haben wir unsere Rechte angemeldet.«
»Du hast wirklich keine Ahnung«, fuhr er sie an. »Das ist das Problem mit euch Amateuren. Inzwischen kursieren garantiert jede Menge Gerüchte, ganz besonders nach diesem Zwischenfall. Haiangriffe erregen immer Aufsehen, vor allem in Urlaubsgebieten. Die Piraten sind schon unterwegs.« Seine Finger trommelten einen schnellen Rhythmus auf die Matratze. »Ihr habt doch die Sachen in Sicherheit gebracht, die wir schon hochgeholt hatten, oder? Haltet sie irgendwo sicher unter Verschluss?«
»Ich –« Seit zwei Tagen hatte sie keinen Gedanken an die Marguerite verschwendet. Den anderen war es sicher ähnlich gegangen. »Klar.« Die Lüge ging ihr schwer über die Zunge. »Klar, Buck, mach dir keine Sorgen.«
»Ihr müsst sofort wieder runtergehen und den Rest bergen! Habe ich das Ray denn nicht gesagt?« Seine Augenlider zitterten, aber er zwang sich, sie wieder zu öffnen. »Diese verdammten Medikamente umnebeln mir das Hirn. Ihr müsst alles heraufholen. Das ganze Gold, sonst lockt es die Piraten an wie Blut die Haie.« Er lachte, und sein Kopf sank auf das Kissen zurück. »Wie Blut die Haie. Ist das nicht komisch? Da haben wir einen Schatz gefunden, und er hat mich nur mein verdammtes Bein gekostet. Holt alles hoch und sperrt es gut weg, Mädchen. Mir zuliebe.«
»Okay, Buck.« Sanft streichelte sie seine Stirn. »Ich werde mich darum kümmern. Aber jetzt musst du dich ausruhen.«
»Geh auf keinen Fall allein nach unten.«
»Nein, natürlich nicht«, murmelte sie und nahm ihm die Brille ab.
»Der Fluch der Angelique. Sie gibt nicht so leicht auf. Nimm dich in Acht.«
»Das werde ich. Und jetzt musst du schlafen.«
Als sie ganz sicher sein konnte, dass er schlief, verließ sie schnell das Zimmer. Matthew saß nicht mehr auf der Bank und war nirgendwo zu sehen. Ein Blick auf die Uhr verriet Tate, dass ihre Eltern in weniger als einer Stunde eintreffen würden.
Sie zögerte, dann ging sie entschlossen zum Aufzug. Sie würde die Sache selbst in die Hand nehmen.
Sobald sie einen Fuß auf die Adventure gesetzt hatte, fühlte sie sich, als ob sie nach langer Reise endlich heimgekehrt wäre.
Offenbar hatte jemand, vermutlich ihre Mutter, das Deck geschrubbt. Sie konnte keine Blutspuren mehr entdecken, und die Ausrüstung war wieder sorgfältig verstaut.
Weil sie kurz festhalten wollte, was sie vor Bucks Unfall bereits an Bord gebracht hatten, suchte sie im Deckshaus nach ihrem Notizbuch.
Und plötzlich wurde ihr bewusst, dass etwas nicht stimmte.
Alles war viel zu ordentlich. Die Kissen waren frisch aufgeschüttelt, der Tisch glänzte. Kombüse und Aufenthaltsbereich blitzten geradezu vor Sauberkeit, aber auf dem Tisch lag kein Notizbuch. Außerdem konnte sie keinen der bereits geborgenen Gegenstände entdecken, auch nicht auf der Arbeitsplatte, wo sie die einzelnen Teile zum Säubern und Katalogisieren abgelegt hatte.
Nachdem ihre erste Panik verflogen war, sagte sie sich, dass ihre Eltern wahrscheinlich genau das getan hatten, was sie jetzt vorhatte. Sie hatten die Stücke mit ins Hotel genommen. Oder auf die Sea Devil gebracht.
Letzteres erschien ihr logischer. Schließlich wollten sie sicher alles an einem Ort lagern. Oder doch nicht?
Sie blickte zum Ufer und fragte sich, ob sie zurückfahren und Marla und Ray suchen sollte. Aber hier, so ganz allein an Bord, nagten Bucks eindringliche Worte an ihrem Gewissen. Sie beschloss zur Sea Devil zu fahren und selbst nachzusehen. Schließlich handelte es sich um eine kurze Fahrt, die sie leicht allein bewältigen konnte.
Da sie nun ein Ziel vor Augen hatte, fühlte sie sich sofort ruhiger. Sie ging zurück zur Brücke und holte den Anker ein. Eine Stunde, dachte sie. Nur eine kurze Rundfahrt. Danach konnte sie Buck wenigstens versichern, dass alles in Ordnung war.
Sobald sie auf die offene See zuhielt, lösten sich ihre Verspannungen. Das Leben schien gleich viel einfacher, wenn sie Decksplanken unter ihren Füßen spürte. Über ihr kreischten die Möwen, das blaue Wasser glitzerte einladend, und der Wind wehte ihr ins Gesicht. Tate hielt das Steuerrad fest in der Hand
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