Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
er sie jetzt haben konnte – eine Berührung, ein Wort würden reichen.
Und er würde sich dafür hassen.
Schweigend zog er die Bettdecke zurück, streckte sich auf dem Laken aus und reichte ihr eine Hand. Ohne zu zögern, legte sie sich hin, schmiegte sich an ihn und bettete ihren Kopf an seiner Schulter.
Er spürte sein Verlangen, das sich in einen dumpfen Schmerz verwandelte, sobald sie ihre Handfläche auf seine Brust legte. Er bohrte sein Gesicht in ihr nach Regen duftendes Haar und empfand eine überraschende Mischung aus Trost und Schmerz.
Vertrauensvoll schloss sie die Augen. »Alles wird gut. Ich weiß, dass es gut wird. Ich liebe dich, Matthew.«
Sie schlief so schnell ein wie ein Kind. Matthew hörte dem Regen zu und wartete auf die Dämmerung.
Der Hai schoss durch das Wasser wie ein schlanker, grauer, blutrünstiger Torpedo mit gierigen Zähnen. Blut wirbelte um sie herum, erstickte sie fast, als sie zu fliehen versuchte. Sie kreischte, schnappte nach Luft. Der Kiefer war entsetzlich weit aufgerissen. Dann schloss er sich über ihr, und sie empfand einen Schmerz, den sie nicht beschreiben konnte.
Mit einem erstickten Schrei fuhr sie hoch, rollte sich zu einer Kugel zusammen und befreite sich langsam aus ihrem Alptraum. Ich bin in Matthews Zimmer, machte sie sich bewusst. Sie war in Sicherheit. Er war in Sicherheit.
Und sie war allein.
Tate hob den Kopf. Zuerst überkam sie Panik – vielleicht hatte Matthew irgendwie erfahren, dass Buck gestorben war, und war ohne sie ins Krankenhaus gefahren. Dann erkannte sie, dass das vermeintliche Prasseln des Regens aus der Dusche kam.
Der Sturm war vorbei, und Matthew war bei ihr. Sie stieß einen langen, erleichterten Seufzer aus und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Sie war froh, dass er von ihrem Alptraum nichts mitbekommen hatte. Er hat auch so schon genug Probleme, dachte sie. Sie wollte es ihm nicht noch schwerer machen. Tate beschloss, mutig und stark zu sein und ihm die Unterstützung zu geben, die er jetzt brauchte.
Als sich die Badezimmertür öffnete, lächelte Tate ihm entgegen. Trotz ihrer Sorgen schlug ihr Herz schneller, weil sie ihn mit feuchter Haut, nacktem Oberkörper und offenen Jeans aus dem Bad kommen sah.
»Du bist ja schon wach.« Matthew hakte seine Daumen in die Hosentaschen und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie appetitlich sie in diesem Bett aussah. »Ich dachte, du würdest noch eine Weile schlafen.«
»Nein, ich bin wieder fit.« Verlegen fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. »Der Regen hat aufgehört.«
»Ist mir schon aufgefallen.« Und zudem hatte er bemerkt, wie groß, sanft und wach ihn ihre Augen ansahen. »Ich muss wieder ins Krankenhaus.«
»Wir müssen wieder ins Krankenhaus«, berichtigte sie ihn. »Ich gehe nur schnell duschen und ziehe mich um.« Sie kletterte aus dem Bett und nahm ihre Schlüssel. »Mom sagte, dass nebenan ein Café ist. Dort treffen wir uns in zehn Minuten.«
»Tate …« Als sie in der Tür stehen blieb und sich umdrehte, zögerte er. Was sollte er sagen? Wie konnte er es ausdrücken? »Ach nichts. In zehn Minuten also.«
Eine halbe Stunde später trafen sie im Krankenhaus ein. Ray und Marla erhoben sich von der Bank vor der Intensivstation, wo sie Wache gehalten hatten.
Beide wirkten ziemlich zerknautscht. Bisher hatte es Matthew immer beeindruckt, dass die Beaumonts in allen Lebenslagen gepflegt aussahen. Jetzt hing die Kleidung zerknittert und schlaff an Ray und Marla herunter, Rays Wangen überzog zudem ein Schatten aus Bartstoppeln. In all den Wochen hatte er Ray noch nie unrasiert gesehen. Aus Gründen, die Matthew selbst nicht ganz verstand, konzentrierte er sich auf diese eine Tatsache. Ray hatte sich nicht rasiert.
»Sie haben uns nicht viel gesagt«, begann Tates Vater. »Nur dass er eine ruhige Nacht hatte.«
»Jede Stunde durften wir ein paar Minuten lang zu ihm.« Marla nahm Matthews Hand und drückte sie. »Hast du dich ausgeruht, mein Lieber?«
»Ja.« Matthew räusperte sich. Ihr Haar ist zerzaust, dachte er verwirrt. Ray hatte sich nicht rasiert, und Marlas Haar war zerzaust. »Ich möchte euch beiden sagen, wie sehr –«
»Also weißt du …« Marla legte übertriebene Entrüstung in ihre Stimme. »Matthew Lassiter, diesen höflichen Tonfall und den artigen Spruch kannst du dir für Fremde aufheben,
denen du etwas schuldig bist. Wir sind deine Freunde und wir lieben dich.«
Noch nie hatte er jemanden kennen gelernt, der
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