Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
alles andere überlagerndes Grauen.
Er erinnerte sich an den unerträglichen Schmerz, die Hilflosigkeit, als der Hai ihn hin und her schleuderte und an ihm zerrte, den Geschmack seines eigenen Blutes. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, waren die starren schwarzen, kalten Augen, die nach hinten rollten.
»Der verdammte Hurensohn hat mich erwischt.« Bucks Stimme überschlug sich. Er versuchte, Matthew abzuschütteln und sich aufzusetzen. »Wie ernst ist es? Was hat er mit mir gemacht, Junge?«
»Beruhige dich. Du darfst dich nicht aufregen.« Matthew
drückte Buck wieder ins Kissen zurück. Er bot erschreckend wenig Widerstand. »Wenn du dich weiter so aufführst, stellen sie dich noch ruhig.«
»Sag mir die Wahrheit.« Mit furchtsamen Augen krallte Buck eine Hand in Matthews Hemd. Doch sein Griff war so schwach, dass Matthew ihn mit einem Schulterzucken hätte abschütteln können. »Sag mir sofort, was der Bastard mir angetan hat.«
Sie hatten einander immer die Wahrheit gesagt. Matthew nahm Bucks Hände in seine und blickte ihm direkt in die Augen.
»Er hat dir ein Bein abgerissen. Der Scheißkerl hat dein Bein abgerissen.«
Achtes Kapitel
D u darfst dir keine Vorwürfe machen.«
Tate unterbrach ihr ruheloses Auf-und-ab-Laufen und setzte sich neben Matthew auf die Bank im Flur vor der Station. Inzwischen war Buck bereits seit vierundzwanzig Stunden wieder bei Bewusstsein, und je größer seine Genesungsaussichten wurden, desto tiefer versank Matthew in Depressionen.
»Ich sehe hier niemanden sonst, dem ich etwas vorwerfen könnte.«
»Es gibt Ereignisse, die einfach niemand verhindern kann. Matthew …«
Geduld, ermahnte sie sich. Es würde ihm überhaupt nicht helfen, wenn sie jetzt auch noch die Nerven verlor. »Was Buck passiert ist, ist furchtbar und tragisch, aber du hättest es nicht verhindern können. Wir müssen uns mit den Tatsachen abfinden. Alles was du, was wir jetzt tun können, ist, ihm beistehen.«
»Er hat ein verdammtes Bein verloren, Tate! Und jedes Mal, wenn er mich ansieht, ist uns beiden klar, dass ich es bin, der jetzt an seiner Stelle dort liegen sollte.«
»Aber du liegst nicht dort.« Die Vorstellung, wie leicht die Situation hätte anders ausgehen können, verfolgte Tate ständig. »Es ist sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.« Erschöpft von der Diskussion und ihren Bemühungen, ihm eine Stütze zu sein, fuhr sie sich durchs Haar. »Buck hat jetzt Angst, er ist wütend und deprimiert. Aber er gibt dir nicht die Schuld.«
»Wirklich nicht?« Matthew sah sie an. In seinen Augen spiegelten sich Bitterkeit und Trauer.
»Nein, das tut er nicht. Weil er nicht so oberflächlich und egozentrisch ist wie du.« Sie sprang von der Bank auf. »Ich gehe ihn jetzt besuchen. Von mir aus kannst du gern hier sitzen bleiben und weiter in Selbstmitleid baden.«
Mit erhobenem Kopf durchquerte sie den Korridor und verschwand durch die Schwingtür auf die Station. Sobald Matthew sie nicht mehr sehen konnte, blieb sie stehen, sammelte sich und zog dann mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen den Vorhang vor Bucks Bett beiseite.
Er hatte sie hereinkommen gehört. Nun schlug er die Augen auf und sah sie durch seine dicken Brillengläser matt an.
»Hallo.« Als ob er sie mit einem Zwinkern und einem fröhlichen Winken begrüßt hätte, steuerte sie auf ihn zu und küsste ihn auf die Wange. »Wie ich höre, wirst du in ein oder zwei Tagen auf eine andere Station verlegt, in ein Zimmer mit Fernseher und noch mehr attraktiven Schwestern.«
»Haben sie mir auch gesagt.« Buck stöhnte auf, weil seine Phantomschmerzen ihn quälten. »Ich dachte, du und der Junge wärt längst wieder an Bord.«
»Nein, Matthew wartet draußen. Möchtest du ihn sehen?«
Buck schüttelte den Kopf. Er knetete das Laken zwischen seinen Fingern. »Ray war vorhin hier.«
»Ja, ich weiß.«
»Sagte, dass es einen Spezialisten in Chicago gibt, der mich behandeln soll, wenn sie mich hier rauslassen.«
»Ja. Er soll absolut fähig sein.«
»Nicht fähig genug, um mein Bein wieder anzunähen.«
»Dein neues Bein wird noch viel besser.« Sie wusste, dass ihre Stimme übertrieben heiter klang, konnte es aber nicht ändern. »Kennst du nicht die Fernsehserie, Buck? Die mit dem bionischen Hunderttausend-Dollar-Mann? Als ich ein Kind war, habe ich keine Folge verpasst. Du bist Hunderttausend-Dollar-Buck.«
Sein Mundwinkel zuckte. »Klar, das bin ich. Hunderttausend-Dollar-Buck, der König der
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