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Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)

Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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und fragte sich, ob sie dieses faszinierende Leben je kennen gelernt hätte, wenn sie als Tochter anderer Eltern zur Welt gekommen wäre. Hätte sie sich dermaßen zu diesem Element hingezogen gefühlt, wenn sie ohne die Erzählungen von der See und ihren Schätzen als Gutenachtgeschichten aufgewachsen wäre?
    In diesem Augenblick, umgeben vom weiten Meer, war sie sich sicher, dass sie sich trotzdem genauso entwickelt hätte. Das Schicksal, dachte sie, ist geduldig und wartet ab.
    Sie hatte ihre Bestimmung eben etwas früher gefunden als die meisten anderen Menschen. Ihr Leben mit Matthew sah sie bereits vor sich: Gemeinsam würden sie um die Welt segeln und die Geheimnisse lüften, die sich im Meer verbargen, als gleichberechtigte Partner in jeder Hinsicht.
    Und eines Tages würde auch er einsehen, dass der Wert ihrer gemeinsamen Arbeit weit über den Glanz des Goldes hinausging. Sie würden ein Museum gründen und Hunderten
von Menschen die Faszination und die Lebensart der Vergangenheit vermitteln.
    Irgendwann würden sie Kinder haben, eine Familie gründen, und sie würde ein Buch über ihre Abenteuer schreiben. Matthew würde erkennen, dass es nichts gab, das sie nicht gemeinsam sein oder erreichen konnten.
    Ähnlich wie das Schicksal musste Tate nur geduldig abwarten.
    Ihre Tagträume zauberten ein Lächeln auf ihre Lippen, doch sobald die Sea Devil in Sicht kam, wich dieses Lächeln einem verwunderten Ausdruck. Direkt neben Bucks Boot hatte eine Yacht angelegt.
    Es war ein beeindruckendes Schiff, gut dreißig Meter lang, strahlend weiß und luxuriös. An Deck konnte sie Menschen erkennen. Ein Steward in Livree balancierte ein Tablett mit Getränken, eine Frau aalte sich faul und offenbar nackt in der Sonne, ein Matrose polierte die Beschläge auf dem Vorderdeck. Die Glasscheiben an Deckshaus und Brücke reflektierten die Sonne.
    Unter anderen Umständen hätte Tate die wunderschönen Linien und die bunt gestreiften Sonnenschirme und Sonnensegel bewundernd betrachtet, aber sie hatte längst die Schlammwolken an der Wasseroberfläche bemerkt.
    Da unten machte sich offensichtlich jemand mit einem Sauger zu schaffen.
    Beinahe zitternd vor Wut, drosselte Tate die Geschwindigkeit, manövrierte die Adventure steuerbord neben die Sea Devil und legte gekonnt an.
    Sofort stieg ihr der unverkennbare Geruch von faulen Eiern in die Nase, der auf Schatztaucher wie Parfüm wirkte – die Gase, die ein Wrack freigab. Ohne zu zögern, lief sie von der Brücke, hielt kurz inne, um ihre Turnschuhe auszuziehen, sprang über die Reling und schwamm die wenigen Meter bis zur Sea Devil .
    Dort schüttelte sie sich das nasse Haar aus den Augen und
zog sich an Bord hoch. Die Planen, in die Matthew und sie die Beute von der Santa Marguerite gewickelt hatten, schienen unberührt. Aber sie brauchte sich nur kurz genau umzusehen, um festzustellen, dass die meisten der Gegenstände, die sie mühsam aus der Tiefe geborgen hatten, fehlten.
    In der Kabine bot sich ihr ein ähnliches Bild. Das Smaragdkreuz, der Eimer voller Silbermünzen, die zerbrechlichen Porzellangegenstände, das Zinn, das sie gemeinsam mit ihrer Mutter sorgfältig gesäubert hatte – alles verschwunden. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte Tate auf die Yacht.
    Wütend und über alle Maßen entrüstet sprang sie wieder ins Wasser. Als sie die Leiter zum glänzenden Mahagonideck der Yacht hinaufkletterte, hätte sie beinahe laut geknurrt.
    Eine blonde Frau mit Sonnenbrille, Kopfhörern und einem knappen Tanga räkelte sich auf der gepolsterten Liege.
    Tate ging auf sie zu und tippte ihr auf die Schulter. »Wer ist hier verantwortlich?«
    »Qu’est-ce que c’est?« Mit einem Gähnen nahm die Blonde ihre riesige Brille ab und musterte Tate gelangweilt. »Qui le diable es-tu?«
    »Wer zum Teufel bist du?«, konterte Tate grimmig in fließendem Französisch. »Und was hast du hier zu suchen?«
    Die Frau bewegte ihre zart gebräunte Schulter und nahm den Kopfhörer ab. »Amerikanerin«, stellte sie mit holprigem Akzent auf Englisch fest. »Ihr Amerikaner seid so anstrengend. Allez . Lass mich in Ruhe. Du machst mich ganz nass.«
    »Wenn das so weitergeht, werde ich dich nicht nur nass machen, Fifi!«
    »Yvette.« Mit einem amüsierten, katzenhaften Lächeln nahm die Frau eine lange, braune Zigarette aus einer Schachtel und zündete sie mit einem schmalen Goldfeuerzeug an. »Ach, dieser Krach!« Sie streckte sich, und die Bewegung wirkte so katzenartig wie ihr Lächeln.

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