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Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)

Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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lächelte, gesellte sich zu seinem Doppelkinn noch ein drittes. »Wie läuft’s?«
    »Langsam. Ich wollte gerade nachsehen, ob Hayden Hilfe braucht.«
    »Meines Wissens hat er sich oben hinter seinen Büchern vergraben.« Dart strich sein Haar nach hinten. »Bowers hat mich gerade unten abgelöst, aber in ein paar Minuten gehe ich zurück.«
    Tates Interesse erwachte. »Zeigt sich etwas Interessantes auf dem Bildschirm?«
    »Jedenf alls nicht die Justine . Aber Litz hat gerade multiple Orgasmen.« Dart sprach wie immer ein wenig abfällig über den Meeresbiologen. »Jede Menge interessante Viecher, sobald man in ein paar tausend Fuß Tiefe vordringt. Ein paar blöde Krabben haben ihn richtig in Fahrt gebracht.«
    »Das ist schließlich sein Job«, beschwichtigte Tate ihn, obwohl sie volles Verständnis hatte. Mit dem kühlen, pedantischen Frank Litz kam niemand zurecht.
    »Trotzdem bleibt er ein Widerling. Bis später.«
    »In Ordnung.« Tate betrat Dr. Hayden Deels Arbeitszimmer. Zwei Computer summten. Auf einem langen, im Boden verschraubten Tisch häuften sich offene Bücher, Notizen, Kopien aus Logbüchern und Manifesten und mit noch mehr Büchern beschwerte Karten.
    Hayden brütete darüber mit seiner schwarzen Hornbrille auf der Nase und stellte offenbar neue Berechnungen an. Tate wusste, dass er ein brillanter Wissenschaftler war. Sie hatte seine Manuskripte gelesen, seinen Vorlesungen applaudiert, seine Dokumentationen studiert. Es ist wirklich ein unerwarteter Glücksfall, dachte sie nun, dass er obendrein auch noch ein netter Mensch ist.
    Sie wusste, dass Hayden Deel um die vierzig war. Sein dunkelbraunes Haar war grau gesprenkelt und leicht wellig. Die honigfarbenen Augen hinter den Brillengläsern blickten zumeist ein wenig geistesabwesend in die Welt. Um seine Augenwinkel und Brauen zogen sich tiefe Falten. Er war groß, breitschultrig und bewegte sich unbeholfen. Wie so häufig, war sein Hemd verknittert.
    Tate fühlte sich an Clark Kent in seinen besten Jahren erinnert.
    »Hayden?«
    Ein Grunzen. Wegen dieser ermutigenden Reaktion setzte sich Tate ihm direkt gegenüber, legte die Arme übereinander auf den Tisch und wartete, bis er aufgehört hatte, vor sich hin zu murmeln.
    »Hayden?«, fragte sie wieder.
    »Hm? Was?« Er blinzelte wie eine Eule und sah auf. Wenn er lächelte, wirkte sein Gesicht direkt charmant. »Hi. Habe dich gar nicht hereinkommen hören. Gerade habe ich die Strömung neu berechnet. Ich fürchte, wir haben uns verkalkuliert, Tate.«
    »Oh. Um wie viel?«
    »Hier draußen genügt schon eine Stelle hinter dem Komma. Ich habe beschlossen, noch einmal ganz von vorn anzufangen.« Als ob er sich auf einen seiner beliebten Vorträge vorbereiten wollte, legte er die Papiere zusammen und faltete seine Hände.
    »Am Morgen des 8. Juni 1857 verließ der Raddampfer Justine San Francisco auf dem Weg nach Ecuador. Er beförderte einhundertneunundachtzig Passagiere und einundsechzig Mann Besatzung. Neben der persönlichen Habe der Passagiere war er mit zwanzig Millionen Dollar in Goldbarren und -münzen beladen.«
    »Damals erlebte Kalifornien seine Blütezeit«, murmelte Tate. Sie hatte die Manifeste studiert und war von den Reichtümern an Bord überwältigt gewesen. Dabei war sie
doch einiges gewohnt. Immerhin hatte sie den größten Teil ihres Lebens damit zugebracht hatte, Recherchen über gesunkene Schiffe anzustellen und nach ihnen zu tauchen.
    »Dann hat er diese Route eingeschlagen«, fuhr Hayden fort, hämmerte auf die Tastatur seines Computers ein und verfolgte auf seiner Grafik die Reise des Schiffes weiter südlich durch den Pazifik. »Das Schiff legte im Hafen von Guadalajara an, ein paar Passagiere gingen an Land, andere kamen an Bord. Am 19. Juni legte es mit zweihundertundzwei Passagieren wieder ab.«
    Hayden wühlte in den Kopien alter Zeitungsausschnitte. »Hier steht: ›Sie war ein heiteres Schiff, die Atmosphäre an Bord war festlich. Das Wetter blieb ruhig und heiß, der Himmel glasklar.‹«
    »Zu ruhig«, bemerkte Tate, die sich die Stimmung und die Zuversicht der Passagiere gut vorstellen konnte. Elegant gekleidete Männer und Frauen schlenderten auf den Decks auf und ab. Kinder lachten. Vielleicht beobachteten sie das Meer in der Hoffnung, einen Blick auf einen Delphin oder einen Wal zu erhaschen.
    »Einer der Überlebenden erwähnte den strahlenden, fast unglaublich schönen Sonnenuntergang am Abend des 21. Juni«, fuhr Hayden fort. »Die Luft war ruhig und sehr

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