Der Ruf des Abendvogels Roman
stammten zum großen Teil von anderen Zaunanlagen.
»Wir stoppen hungrige Räuber!«, sagte Nugget stolz zu Tara.
Lächelnd erwiderte sie: »Das hoffe ich, Nugget. Ich will so schnell wie möglich säen. Von den Heuschrecken ist immer noch nichts zu sehen.«
»Sie kommen bald diese Richtung, Missus.« Sein Blick verlor sich in der weiten Landschaft.
»Sind Sie sicher, Nugget? Tadd meinte, sie kämen vielleicht überhaupt nicht her. Er meinte, manchmal ändern sie ihre Richtung oder werden vom Wind fortgeblasen.«
Nugget schüttelte den Kopf. »Sie pflanzen Samen, Missus – aber Heuschrecken kommen.«
Tara beschloss, Ethan um Rat zu fragen, wenn er von seiner Postrunde zurückkam.
Während die Männer den Zaun fertig bauten, wollte Tara nachsehen, welcher Samen vorhanden war. Victoria hatte ihr gesagt, Tadd bewahre die Samen in einem Schrank auf der Terrasse seines Häuschens auf, doch sie konnte nicht sagen, ob nicht vielleicht längst die Ameisen darüber hergefallen waren. Als Tara zum Cottage hinüberging, kam Nerida mit einem Bündel Wäsche heraus, das sie zu dem großen Trog hinter dem Haupthaus trug.
Tara fand die Samen sehr schnell, denn Tadd hatte sie in geschlossene Behälter gepackt und noch einmal extra in ölgetränkte Tücher eingewickelt, um die Ameisen abzuhalten. Einige der Tütchen trugen Etiketten, wie Victoria gesagt hatte, andere jedoch nicht. Tara überlegte gerade, was sie anpflanzen sollte, als ihr Blick auf die geöffnete Vordertür fiel und sie einen unwiderstehlichen Drang verspürte, hineinzugehen. Während sie versuchte, dagegen anzukämpfen, kam ihr die Erinnerung an den Tag, als sie an Eloisas Lager vorbeigeritten war und den plötzlichen Impuls verspürt hatte, anzuhalten.
Tara musste zugeben, dass Tadd Sweeney sie neugierig machte. Manchmal glaubte sie, ihm vertrauen zu können; meist dann, wenn ihr Bild von ihm durch die Meinung ihrer Tante ins Wanken geriet, doch viel häufiger fühlte sie sich in seiner Gegenwart unbehaglich. Die Seherinnen unter den Zigeunern behaupteten, dass der Umgang mit den persönlichen Gegenständen eines Menschen ihnen verriet, wer dieser Mensch war. Tara hatte festgestellt, dass das auch bei ihr schon oft funktioniert hatte. Also beschloss sie herauszufinden, was Tadds Heim ihr über ihn enthüllen konnte.
Das Cottage bestand aus drei Räumen, einem Wohnzimmer, einer kleinen Küche und einem Schlafzimmer, die alle mit den üblichen notwendigen Dingen ausgestattet waren und keinerleipersönliche Züge aufwiesen. Eine typische Junggesellenwohnung, dachte Tara. Sie schaute ins Schlafzimmer, dessen Tür sich als erste gleich rechts neben dem Eingang befand. Auf dem Eisenbett lag die nackte Matratze, und der Schrank stand offen. Da Nerida Tadds schmutzige Wäsche mitgenommen hatte, wirkte der Raum ordentlich und aufgeräumt. Tara zog die Nachttischschublade auf und fand darin ein paar persönliche Dinge: eine sehr alte Uhr, die nicht mehr funktionierte und wahrscheinlich seinem Vater oder Großvater gehört hatte, außerdem eine Pfeife, die ebenfalls alt wirkte, eine Flasche Haaröl, eine Nagelschere, ein Kompass und allerlei Krimskrams.
Tara sah sich auch im Wohnzimmer um, wo sie neben einigen Büchern über Rinderzucht und Hütehundewettbewerbe allerdings nur ein paar alte Zeitungen fand. Die kleine Küchenzeile wurde offensichtlich selten benutzt, denn die Theke war von einer dicken Staubschicht bedeckt, und der Ofen sah aus, als sei er seit Jahren nicht mehr in Gebrauch. Auf dem Weg zurück zu Vordertür fühlte sich Tara seltsam unzufrieden. Plötzlich spürte sie einen unerklärlichen Drang, noch einmal ins Schlafzimmer zurückzugehen.
Während ihr Blick durch den Raum wanderte, fielen ihr zwei Kisten auf einem Brett im offen stehenden Kleiderschrank auf. Sie nahm eine davon und stellte sie aufs Bett. Das Gewicht der Kiste machte sie neugierig, zumal diese mit einer festen Schnur zugebunden war. Als Tara den Deckel abgenommen hatte, kam darunter noch einmal ein verschlossener Metallbehälter zum Vorschein. Tara erinnerte sich an einen alten Zigeunertrick und durchsuchte die Innentasche einer der Jacken im Schrank nach einem passenden Schlüssel. Sie fand in auch tatsächlich. Lächelnd klappte sie den Metallbehälter auf. Eigentlich hatte sie erwartet, etwas besonders Wertvolles darin zu finden, und starrte überrascht auf ungefähr zwanzig farbige, glatt polierte Steine in verschiedenen Schattierungen von Blau, Grün und Weiß; manche davon
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