Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
Notwendigkeit zu zählen, sich zu den dröhnenden Klängen zu bewegen. Der Rhythmus hallte in meinem Herzen wider. Ich schaute zu Lance hinüber, der an das Podest gelehnt stand und das Spektakel aufmerksam verfolgte.
Es war schwer zu sagen, wie lange dies alles andauerte. Die Nacht fühlte sich endlos an, und trotzdem kam es uns viel zu früh vor, als die Trommler langsam das Tuch verließen und die anderen ihnen folgten. Ihre Instrumente erklangen weiter, während jeder rund um die Decke seine Sachen zusammensuchte. Einige der Anwesenden falteten jetzt die Decke zusammen und bewegten sich dabei in solchem Einklang, dass selbst diese Tätigkeit wie ein choreographierter Tanz wirkte.
Als sie ihre Aufgabe erledigt hatten, begannen die Trommelspieler den zeremoniellen Auszug und führten die Gruppe über den Friedhof. Unterwegs löste sich immer wieder jemand aus der Menge, schob sich in eine Gruft und verschloss sie dann von innen wieder. Als sich die Prozession unserem Ausguck näherte, duckten Lance und ich uns hinter dem Podest und wagten kaum zu atmen. Der Mann, der zuvor aus dieser Gruft gekommen war, ließ die anderen zurück und öffnete eine der Öffnungen für Särge, um sich wieder dort hineinzuschieben. Ich rührte mich nicht und holte auch nicht Luft, bis die schwere Marmorplatte endlich wieder an ihrem Platz war und der sich windende Schwanz der Schlange weitergezogen war. Die Anführer der Kerngruppe, die wir als »Krewe« kannten, hielten sich am Ende des Zugs. Clio und Jimmy waren unter ihnen. Sie erreichten den Teil der Friedhofsmauer, der uns am nächsten war, und der eine oder andere kletterte hinüber.
Wylie umfing die Frau an seiner Seite mit dem Arm und schob sich dann die Mauer hoch, während er sie fest umschlungen hielt. Als sie oben einen Moment verharrten, blieb Clio stehen und sah zu ihnen hoch.
»Wylie«, rief sie mit süßer Stimme. Er wandte sich ihr auf der Kante der Mauer zu, die junge Frau, die ihm die Arme um den Hals schlang, saß auf seinem Schoß. Sie trug ein aufreizendes weißes Kleid und hatte bestimmt nicht am Rande der Decke gestanden – sie wäre mir sicher aufgefallen. Vielleicht hatte sie sich irgendwo in den Schatten verborgen und von dort aus still zugesehen. Selbst aus dieser Entfernung verriet mir ihre lethargische Haltung und wie sie sich an ihm festklammerte, dass sie sich in einer Art Trance befand.
»Ja, Liebes?«, rief Wylie im Flirtton zu Clio hinunter.
»Ich glaube, es gibt da jemanden, der sie gern kennenlernen würde«, schnurrte Clio.
»Schon so früh?«
»Vertrau mir.«
»Wie schön«, bemerkte er von Herzen. Er sah der jungen Frau in die Augen und schob ihr das lange, goldbraune Haar aus dem Gesicht. Sie regte sich kaum und strahlte ihn nur verträumt an. »Wir machen jetzt einen kleinen Ausflug, Süße«, erklärte er und küsste sie auf die Lippen. Sie nickte und lächelte, während sie sich noch fester an ihn klammerte. Er sprang wieder von der Mauer und landete sanft auf den Füßen. Dann setzte er seine Begleiterin auf dem Boden ab, hielt aber einen Arm weiterhin um sie geschlungen und zog sie eng an sich heran, als er sich auf den Weg machte. »Aber wir sollten uns besser beeilen«, sagte er zu Clio, »ich fürchte, das Gift verliert bald seine Wirkung.« Der Kopf des Mädchens rollte schlaff nach vorn, als sei sie betrunken.
»Wir beeilen uns«, versprach Clio, »aber das wird für ihn der Höhepunkt des Abends. Außerdem bin ich mir sicher, dass du nur zu gerne die Lorbeeren dafür ernten wirst, sie für uns gewonnen zu haben«, neckte sie ihn und drückte seinen Arm. Dann huschte sie in die Gruft, der sie zuvor entstiegen war.
»Du findest doch immer die richtigen Worte, nicht?«, bemerkte Wylie und half der jungen Frau hinein, um ihr dann selbst zu folgen. Innerhalb von Sekunden war der Eingang hinter ihnen wieder verschlossen, als hätte er sich nie geöffnet.
Die Szene hatte mir einen Schauer über den Rücken gejagt. Ich wusste nämlich, wohin man sie brachte.
Minutenlang sprachen Lance und ich kein Wort. Wir schienen uns beide vergewissern zu wollen, dass alle endgültig durch ihre entsprechenden Tore verschwunden waren, bevor wir uns in Bewegung setzten und uns damit womöglich verrieten. Aber als es schließlich sicher schien zu sprechen, wusste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte. Da gab es so viel zu analysieren, tausend Gedanken stürmten auf mich ein. So vieles ergab für mich in diesem Moment keinen Sinn.
»Ich glaube,
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