Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
beim Tanzen zugesehen hatte. Es machte mir Sorgen, dass ich so in das Spektakel versunken gewesen war und nicht das Gesamtbild im Auge behalten hatte. Die Vorgänge dort unten hatten etwas Hypnotisches an sich. Aus dem Augenwinkel sah ich zu Lance hinüber und fragte mich, ob es ihm wohl genauso erging.
Endlich sprach Clio nun Worte, die wir auch verstehen konnten.
»Willkommen, mes chéries «, gurrte sie mit bedächtiger, süßer Stimme. »Wir haben uns nun seit Wochen der Ernte gewidmet, uns in dieser schönen Stadt und ihrer Umgebung auf unsere Sammeltätigkeit konzentriert, wie ihr ja alle wisst. Dabei haben wir wichtige Zutaten aus unserer stärksten Quelle gewonnen: den kürzlich Verstorbenen.« Dieser Satz nagte an mir – hieß das wirklich, was es zu bedeuten schien? Aber sie sprach weiter, und darauf musste ich mich jetzt konzentrieren. »Und aus diesen ruhmreichen Elementen werden in diesen Augenblicken besonders kraftvolle Gifte gewonnen.«
Sie deutete auf die Gefäße zu ihren Füßen, deren Inhalt nun nach und nach präsentiert wurde, als Erstes von einer Frau, die direkt vor ihr saß. Den Anfang machte ein Knochen – er sah nicht wie die von Mariette aus, sondern irgendwie … menschlicher. Aus einer anderen Schale wurden Fetzen von Kleidung hervorgeholt. Kleine Fläschchen enthielten eine dunkle Flüssigkeit, die ich selbst von meinem Aussichtspunkt hier oben als Blut identifizieren konnte. In einigen befand sich Schmuck – unter anderem ein Ring, der noch an einem Finger steckte. Entsetzt wandte ich den Blick ab. In einem der Krüge lag ein Ohr, und im letzten Gefäß befand sich eine blutverschmierte Baseballkappe. Lance schaute zu mir rüber, und unsere Blicke trafen sich. Er lehnte sich zu mir vor. »Jeff. Die hat Jeff gehört«, flüsterte er mit zittriger Stimme. »Sie war doch auf deinem Foto.« Er schüttelte den Kopf. Als all diese Dinge hervorgeholt und zur Schau gestellt worden waren, nahmen die Hüter der Gefäße wieder ihren Platz in der Reihe ein.
Clio fuhr fort: »In den nächsten Wochen bietet sich uns die Gelegenheit, viele Seelen für uns zu gewinnen, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Bei unserer Pilgerfahrt nach Père-Lachaise werden wir unseren Brüdern und Schwestern dort viel zu erzählen haben.« Père-Lachaise. Ich ließ mir das Wort durch den Kopf gehen. Ja, das sagte mir was. Ich kannte diesen Namen aus dem Fortgeschrittenenkurs Französisch. Das war ein Friedhof in Paris voller Künstler und Schriftsteller, da lag sogar der eine oder andere Rockstar, wenn ich mich recht entsann. Fürs Erste speicherte ich die Information und hörte lieber weiter zu. » … also feiern wir heute Abend den ersten Seelenfang von vielen.« Diesen Satz sprach Clio langsam, gedehnt aus, um seine Bedeutung zu unterstreichen.
Dann deutete sie auf diejenigen, die zu ihrer Rechten am Rand der Decke standen, und streckte einen eleganten Arm aus, um jemanden mit einer zarten Bewegung des Handgelenks herbeizurufen. »Tritt vor, mein Lieber«, lockte sie. Die Reihe teilte sich und gab den Blick auf einen jungen Mann frei. Ruhig und verträumt schwebte er auf sie zu. Er war jedoch nicht weiß gekleidet, stattdessen trug er normale Straßenklamotten. Die ich wiedererkannte. Selbst aus dieser Entfernung wusste ich, wen wir da vor uns hatten: Jimmy. Er sah genauso aus wie an dem Abend, als er in mein Zimmer gestürmt war. Wildes Haar, ein zerrissenes T-Shirt und abgetragene Jeans. Und er wirkte völlig entrückt, sein Blick löste sich nicht einen Moment von Clios Gesicht. Jetzt baute er sich neben ihr auf.
»Heute haben wir das Privileg, ein neues Mitglied in unserer Gemeinschaft willkommen zu heißen. Wir erwarten Großes von ihm«, verkündete sie. Jimmy sah nicht so aus, als bekäme er irgendwas davon mit. Ein Mann trat aus der hinteren Reihe vor und bot mit gebeugtem Knie einen schwarzen Satinbeutel dar. Es war Wylie. Clio griff mit beiden Händen nach dem Säckchen, als wäre es heilig.
Sie begann mit dem Knochen, der direkt vor ihr lag, schnitt davon mit nichts anderem als ihrem Zeigefinger eine winzige Scheibe ab und legte sie in den Beutel. Dann ging sie von Gefäß zu Gefäß, nahm von jeder Zutat ein Stück an sich und gab auch ein paar Tropfen Blut aus den Fläschchen dazu, bis alle Elemente im Beutel vertreten waren. Dann schüttelte sie ihn einmal und legte schließlich beide Hände darum, bis das Säckchen zu leuchten begann. Sie griff hinein und zog dann eine glühend rote
Weitere Kostenlose Bücher