Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
hochzuziehen. Der Wind ging uns durch Mark und Bein, wir näherten uns dem Hafen und kletterten weiter und weiter, bis plötzlich der Pfiff ertönte. Erst als sich das Rad nach und nach immer langsamer drehte, wurde mir klar, dass wir nass bis auf die Knochen waren und was für eine Meisterleistung wir hier vollbracht hatten. Drew und River, die Armen, waren abgeworfen worden und schwammen als winzige Punkte in der Ferne zurück in Richtung Ufer. Connor war höflich genug, auf sie zu warten, bevor er mit dem zweiten Team auf dem Rad hinausfuhr.
Während immer noch Adrenalin durch unsere Adern gepumpt wurde, trockneten wir uns ab und machten uns dann auf den Weg zum Oberdeck, um sie von dort aus zu beobachten. Während am Horizont die Sonne zu glitzern begann, konnten wir gerade eben ihre Silhouetten ausmachen. Das Schiff fuhr los, und Lance’ Gruppe trieb uns so schnell an, dass ich nicht so genau sagen konnte, wer von uns nun besser gewesen war. Tom hatten sie inzwischen verloren, aber von unserem Aussichtspunkt aus sahen die anderen drei erstaunlich sicher und standfest aus.
Nicht lange, und die Pfeife ertönte wieder, dann kam das Schiff zum Stehen, und wir versammelten uns alle auf dem unteren Deck, wo wir auf Connor warteten. »Ich hatte euch ja versprochen, dass ihr euch mit eurem Sieg rühmen dürft«, begann er. »Aber bildet euch nicht zu viel darauf ein, ihr wart nämlich alle gut, und die beiden Gruppen sind mit nur sieben Sekunden Zeitunterschied ins Ziel eingegangen.«
»Ja, ja, wir sind alle Sieger«, witzelte Brody, »jetzt spuck’s schon aus, Mills.«
Connor lächelte nur. »Aber der Gewinner ist … Gruppe zwei!« Er deutete auf Lance. Wir alle gratulierten, es wurde abgeklatscht und auf Schultern geklopft. Das Team jubelte verhalten und respektvoll. Aber viel schlimmer als die Niederlage beim Rennen war für mich, einer zauberhaften und völlig trockenen Sabine dabei zuzusehen, wie sie auf und ab hüpfte und Lance mit einer Umarmung beglückwünschte. In diesem Moment verpuffte auch der letzte Rest Adrenalin. Der einzige schwache Trost bestand für mich darin, dass Lance beinahe eine Grimasse zog, weil ihm diese übereifrige Sympathiebezeugung in aller Öffentlichkeit ganz offensichtlich unangenehm war. Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung.
23
Du hattest Kontakt zu ihnen
E rst am nächsten Tag traute ich mich wieder, noch einmal beim Herrenhaus nebenan vorbeizuschauen. Ich kam gerade allein von einem Morgen bei der Tafel zurück und bemerkte, dass ein Fenster weit offen stand und darin die altbekannte Kerze brannte. Jemand hatte eine Flasche auf den Sims gestellt, und ich wusste, dass die für mich war. Es machte mich ganz nervös, mich dem Haus zu nähern, aus dem man mich erst vor kurzem vertrieben hatte. Jedes Mal, wenn ich Lucians Charme wieder verfiel, passierte auf einmal etwas Unerwartetes, und ich stellte ihn erneut in Frage. Hatte er mich in die Falle gelockt und Wylie hergeschickt, damit er auf mich losging? Ich konnte es mir wirklich nicht leisten, so leichtsinnig zu sein, vor allem, wenn es um Liebe ging. Deshalb wünschte ich mir, ich könnte einfach weitergehen, die Flasche dort stehen lassen und keinen weiteren Gedanken an ihren Inhalt verschwenden. Aber dazu war ich einfach nicht in der Lage. Ich griff also durch das offene Fenster, um sie an mich zu nehmen, und schob sie in meinen Rucksack. Ich wusste ja, was passieren würde, wenn ich sie öffnete, daher würde ich damit erst einmal warten. Eigentlich hätte ich jetzt zur Bibliothek gehen müssen, die nach der schrecklichen Entdeckung letzte Woche endlich wiedereröffnet hatte, ich rief aber Connor an und bat ihn, mich freizustellen, damit ich Mariette bei einem Projekt helfen konnte. Das entsprach nicht so ganz der Wahrheit … noch nicht. Ich machte mich auf den Weg zur Rampart Street.
»Ich weiß, dass du Kontakt zu ihnen hattest«, hielt mir Mariette mit sanfter Stimme vor, als ich in ihrem Laden zur Tür hereinkam, so wie Freundinnen einander ins Gewissen reden, wenn sie sich wirklich Sorgen machen. Sie sah mich so durchdringend an, als sei meine Seele für sie ein offenes Buch.
»Weniger mit ihnen , als vielmehr mit ihm «, stellte ich zerknirscht klar.
Jetzt zerbrach ich die Flasche vor ihren Augen, direkt in das Steinbassin auf dem Tisch in ihrem Altarraum. Sie hatte es mit einem schwarzen Samttuch abgedeckt, das Mariette zufolge etwas von der Essenz der Gegenstände in sich aufnehmen würde, bevor sie sich
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