Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
in Luft auflösten. Wir saßen einander auf einer Seidendecke gegenüber, und sie las laut die Worte vor, die auf dem Zettel in meiner Hand standen. Ihre hypnotische Stimme ließ sie sogar noch geheimnisvoller klingen:
H,
vergib mir wegen gestern Abend. Ich wurde unerwartet aufgehalten. Ich schwöre, dass ich gekommen wäre, wenn es mir irgendwie möglich gewesen wäre. Aber ich habe in letzter Zeit nicht mehr so viele Freiheiten. Ich habe allerdings gehört, dass Wylie da war und dass er dort jemanden angetroffen hat, aber nicht sehen konnte, wen. Ich vermute, dass du da warst und auf mich gewartet hast. Es macht mich ganz krank, wenn ich daran denke, dass ich dich damit in Gefahr gebracht habe.
Ich hoffe, wir können es nochmal versuchen, wir sollten aber zunächst ein paar Tage abwarten. Ich möchte sichergehen, dass wir nicht wieder unerwünschte Gesellschaft bekommen. Mittwoch um Mitternacht. Da sollte es mir problemlos möglich sein, mich davonzuschleichen. Die Tür wird nicht verschlossen sein, komm zur Sicherheit aber erst, wenn du mein Licht gesehen hast. Ich möchte nicht, dass du dieses Haus je wieder betrittst, wenn ich nicht da bin.
Dein
L
Ich ließ das Papier fallen, als Funken zu sprühen begannen. Mariette faltete das Samttuch rasch zusammen und erstickte so die Flammen.
Zwischen uns stand eine Schale mit rotem Staub auf dem Tisch. Mariette schob ihre langen Finger hinein, nahm eine Prise und bestäubte damit den Samt, dann faltete sie ihn auf der ausgebreiteten Handfläche wieder auseinander. Sie rieb die Hände gegeneinander und streckte sie mir dann entgegen. Mit dieser stummen Geste bat sie mich darum, ihr meine Hand zu reichen. Das tat ich dann auch, und sie schloss die Augen. Sie hielt meine Hände in den ihren und saß eine Weile ganz still da, dann schlug sie die durchdringenden Augen wieder auf und durchbohrte mich erneut mit Blicken.
»Glaubst du, dass er dir helfen kann?«, fragte sie endlich.
»Mein Bauchgefühl sagt mir, dass er wirklich etwas für mich tun und mich nicht in Gefahr bringen will, aber ich weiß es einfach nicht.« Während ich das aussprach, hoffte ich nur, hier vor dieser weisen Frau nicht ganz so naiv zu klingen, wie ich mich gerade fühlte. »Ich weiß, dass sich das nicht sehr überzeugend anhört, aber …« Sie zog ihre Hände zurück und hob sie dann, um mich zum Schweigen zu bringen.
»Was sagen dir … deine Narben? Sei ehrlich.«
»Meine Narben?« Ich überlegte und rief mir jeden Kontakt mit Lucian während der letzten Wochen in Erinnerung. »Ich weiß auch nicht, ich glaube, das Gefühl war irgendwie widersprüchlich. Einmal habe ich eine Nachricht von ihm auf dem Friedhof gelesen, und da hab ich plötzlich ein heftiges Stechen gefühlt, aber das war nicht jedes Mal so.« Dann dachte ich genauer darüber nach, und langsam dämmerte es mir: »Aber an dem Abend, an dem ich viel Zeit mit ihm verbracht habe, habe ich nichts gespürt.« Damit meinte ich natürlich, dass ich im vernarbten Gewebe auf meiner Brust nichts gefühlt hatte, aber im Herzen? In der Magengrube? In jeder Faser meines Körpers? Da hatte ich so einiges verspürt, das behielt ich jedoch lieber für mich.
»Dann solltest du dich daran orientieren«, erklärte Mariette ruhig und gelassen. Ihr Rat überraschte mich.
»Echt?« Das erschien mir zu einfach.
»Du kennst deine Haut, dein Warnsystem doch am besten. Du bist eine Seelenerleuchterin, nicht wahr?«
»Ja.« Ich war stolz, das bestätigen zu können, obwohl ich selbst nicht immer auf meine Fähigkeiten vertraute.
»Eine solche Gabe ist ein wahrer Schatz. Glaub an dich selbst, dann werden deine Sinne mit der Zeit immer schärfer.«
»Okay … danke.« Ihre Worte machten mir Mut.
Als sie jetzt das Tuch hochhielt, war das rote Pulver verschwunden. »Damit wäre das jetzt auch geklärt. Wirklich Böses hätte diesen Staub nicht in sich aufgenommen. Es hätte sein wahres Gesicht gezeigt. Aber werd jetzt nicht übermütig«, warnte sie mich mit plötzlich finsterem Tonfall. »Das kann sich im Handumdrehen ändern. Wir müssen vorsichtig sein und das immer im Hinterkopf behalten: Sie können unser Vertrauen gewinnen, es aber auch ganz schnell wieder verlieren.« Es hörte sich an, als spräche sie da aus eigener Erfahrung. »Hattest du oft Kontakt zu den anderen?«, fragte sie. »Zur Krewe?«
»Ich mache mir Sorgen, weil ich befürchte, dass eine Freundin von mir ihnen bereits verfallen ist, und einer unserer Hausgenossen ist
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