Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
ich nicht sehen.«
Er nahm ihre Arme und legte sie sich um den Hals, lehnte sich vor und hob sie hoch. Sie erstarrte, hob den Kopf und klammerte sich so fest an ihn, dass ich mich fragte, ob er wohl noch Luft bekam.
»Mach schnell!«, ordnete sie an und zog ihn näher an sich heran, als sei er ein Baum, auf den sie zu klettern versuchte. »Du musst da rübersteigen. Aber schnell. Tritt nicht auf sie drauf!«
»Das ist schon okay«, murmelte er. »Es kommt alles in Ordnung. Wir bringen dich jetzt nach Hause.«
Ich schloss gerade die Hütte ab und rüttelte an der Tür, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich zu war, als plötzlich meine Narben zu lodern begannen.
Eine heiße Kralle bohrte sich in meine Schulter. Mein Kopf fuhr herum, und ich machte einen Satz zurück, so schockiert war ich, sie hier zu sehen.
Schwester Catherine. Sie stand direkt vor mir.
»Tut mir leid. Habe ich dich erschreckt, mein Kind?«, fragte sie sanft, aber wenn ich mich nicht irrte, mit dem Anflug eines Grinsens. Sie stand ganz nah neben mir, zu nah. Ich machte ein paar Schritte rückwärts. Das musste sie bemerkt haben, genau wie den Ausdruck absoluten Entsetzens auf meinen Zügen.
»Ah, ja, du hast also von meiner ›Versetzung‹ gehört.« Dabei machte sie Anführungszeichen in der Luft, was irgendwie gar nicht zu ihr passte, und begann dann zu kichern. Langsam veränderte sich der Tonfall ihres Lachens. Auf einmal war das nicht mehr die brüchige, verwitterte Stimme einer lieben alten Dame; sie klang schroffer, höhnischer und … jünger. Ich glaubte schon, dass ich mir da vielleicht etwas einbildete. Abrupt verstummte sie und musterte mich mit kaltem Blick. »Weißt du, wohin man mich wirklich berufen hat, Haven?«, fragte sie durchtrieben. Sie lehnte sich vor, und ihre heiße Hand brannte sich in meinen Arm. »Zum Dienst für den Fürsten«, ertönte es auf einmal mit dem schleppenden Südstaatenakzent einer Schönheitskönigin aus ihrem alten Körper. Diese Stimme hatte ich bisher nur ein paarmal gehört, erkannte sie jedoch augenblicklich. Mir lief es kalt den Rücken runter, trotzdem wussten meine Füße offensichtlich nicht, dass sie jetzt die Flucht ergreifen mussten, und blieben wie angewurzelt stehen. »Und du wirst ihm auch bald dienen, wenn du weißt, was gut für dich ist.«
Vor meinen Augen verwandelte sie sich im Ordensgewand: Sie wurde größer und dünner, jetzt war blondes Haar zu sehen. Vor mir stand Clio. Mir stockte der Atem, ich fragte mich, ob ich vielleicht schon Halluzinationen hatte wie Sabine. Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass das hier furchtbar echt war. Ich rannte genau in dem Moment los, als sie sich abwandte und in einer lodernden Flamme verschwand. Das Feuer bahnte sich seinen Weg zum nächsten Grab und versickerte in den Ritzen des versiegelten Eingangs. Sie war fort.
Ich entschuldigte mich im Büro mit einer Ausrede und rief Lance auf dem Weg nach Hause an. »Hey, ich kann jetzt gerade nicht reden«, brachte er mit angespannter Stimme vor. Nach dem, was ich da gerade miterlebt hatte, war ich immer noch ziemlich fertig, und deshalb war ich sofort eingeschnappt. Und konnte das auch nicht vor ihm verbergen.
»Na ja, ich dachte, du wüsstest vielleicht gerne, dass ich Sabine gefunden habe.«
»Was?« Jetzt schien mir seine Aufmerksamkeit gewiss.
»Sie lag ohnmächtig auf dem Friedhof. Connor ist gekommen, um sie zurück ins Wohnheim zu bringen.«
»Warum hast du mich denn nicht angerufen?«
»Das mache ich ja gerade.« Eigentlich hatte ich mir von diesem Anruf ein wenig Trost versprochen, aber Lance frustrierte mich nur noch. Das hier konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.
»Richtig. Tut mir leid. Ich hab mir einfach nur … Sorgen gemacht.« Er seufzte. Und nach einer Pause fügte er dann zögernd hinzu: »Hast du das mit den Toten mitbekommen?«
Ich blieb ruckartig stehen, und der Wind pfiff mir um die Ohren. »Was?«
»Ja. Ich habe gehört, dass in der Stadt wieder Leichen gefunden wurden. Einer von den Typen hier hat erzählt, dass sie in Gassen, Innenhöfen und Müllcontainern lagen …« Er klang abgelenkt, seine Stimme verstummte langsam. »Also hab ich gedacht, sie wäre vielleicht … Egal, pass einfach auf dich auf, okay?«
25
Ich komme damit einfach nicht klar
A lso, die Sache läuft so, Leute.« Connor wandte sich in seinem ernstesten, eindringlichsten Tonfall an uns. Er hatte uns alle nach Hause berufen, und wir waren im Übungsraum zusammengekommen. Sabine
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