Der Ruf des Kolibris
dass Don Antonio uns verfolgen und sich in Tanos Gebiet vorwagen würde, wollte er alle bösen Überraschungen ausschließen. Denn ganz sicher war er sich nicht, ob Antonios Rachedurst diesmal nicht doch groß genug war, um einen Gegenüberfall zu starten. Wer auch immer sich dieser Tage auf den Weg in die Berge um Yat Pacyte herum aufmachte, würde nicht diesen Aufstieg wählen, sondern bei Yat Wala am See in die Berge reiten. Also waren wir einigermaßen sicher.
Leider zwang ihn der schmale und stellenweise kaum sichtbare Pfad, meist voranzureiten. Aber wenn er sich umblickte, sah er mich. Ich saß entspannt auf dem Pferd. Beglückt registrierte er, dass ich den Ritt durch den Urwald genoss. Elena dagegen blickte unzufrieden und ängstlich drein, und Leandro, ganz am Schluss, versuchte immer wieder, mit seinem Satellitenhandy jemanden anzurufen. Irgendwann musste es ihm gelungen sein. Denn plötzlich hatte sich die Lage verändert. Damián erkannte es an den bestürzten Gesichtern, die Leandro, seine Tochter und ich machten. Nun hatten wir doch vom Gemetzel an Antonios Leuten erfahren. Er konnte sich vorstellen, was in unseren Köpfen vor sich ging. Wir fragten uns, ob wir, aus der einen Geiselhaft befreit, einem neuen Geiselnehmer in die Hände gefallen waren. Es schmerzte ihn, zu sehen, dass auch ich an ihm zweifelte. Andererseits musste er sich sagen, dass es vernünftig war, misstrauisch zu sein. Er hatte mir keinen Einblick in sein Leben und die Motive seines Handelns gegeben. Woher sollte ich das blinde Vertrauen in ihn nehmen? Und verdiente er es überhaupt?
Am Geröllhang hatte er uns absichtlich Zeit gegeben, uns darüber klar zu werden, ob wir ihn für einen Kriminellen, einen Mörder oder einen Geiselnehmer hielten und umkehren oder ihm weiter folgen wollten. Er hatte gespürt, dass mein Vater sich von uns vieren am wenigsten von den Nachrichten aus Popayán hatte beeindrucken lassen und am meisten seinem Gefühl vertraute, dass er, Damián, ein anständiger junger Mann sei.
»Aber du wusstest doch auch«, bemerkte ich, »dass wir in der Falle saßen. Wir hätten kaum aus eigener Kraft wieder zurückfinden können, oder?«
»Doch, schon. Leandro hätte es sicher geschafft, zumal mit seinem GPS-Handy. Allerdings wohl nicht in der Nacht.«
»Also konntest du eigentlich in Ruhe abwarten, bis wir uns besonnen hätten.«
»In Ruhe? Ich war nie ruhig auf dieser Reise, Jasmin. Leandro hätte auch eine Pistole dabeihaben können. Die Situation hätte eskalieren können. Männer wie Leandro sind gefährlich. Sie sind es gewohnt, die Kontrolle zu behalten. Da stirbt ganz schnell mal einer. Wer weiß, für wie viele Morde Leandro verantwortlich ist.«
Ich fuhr auf. »Was?«
»So ist das in diesem Land, Jasmin«, sagte er.
»Aber so was muss man auch beweisen!«, protestierte ich.
»Willst du Leandro in Schutz nehmen? Tatsächlich hat er sich auf unserer Reise als sympathischer, großzügiger und ruhiger Gefährte erwiesen. Er liebt seine Tochter. Er glaubt, er tue was Gutes, wenn er die Bevölkerung am Gewinn seiner Mine beteiligt. Aber es sind schon zwei Politiker des CRIC ermordet worden, die die Zustände im Tal unterhalb der Mine angeprangert und gefordert haben, dass man Leandro die Konzession entzieht und ein anderes System findet, die Smaragdmine auszubeuten.«
»Was für ein System denn?«
»Ohne diese Schlammlawinen, in denen jedes Mal, wenn sie zu Tal rauschen, ein paar Guaqueros sterben. Ohne Zehnstundenschichten sieben Tage die Woche unter Tage. Unter Aufsicht der Gewerkschaften, unter Kontrolle unserer örtlichen Politiker. Leandro hält sich für einen sozial denkenden Menschen, weil er zwanzig Prozent der Ausbeute der Mine im Schlamm den Zehntausenden kleiner Guaqueros überlässt. Aber er schafft damit nur eine fürchterliche Sucht, eine verheerende Abhängigkeit, die ganze Familien ins Unglück stürzt. Deshalb fordern wir, dass er die Mine vollständig selber ausbeutet und die zwanzig Prozent in Gebäude, Schulen, Krankenhäuser, Straßen und ein Gesundheitswesen in der Region investiert.«
»Aber dich hat er noch nicht ermordet«, stellte ich fest.
Damián lachte hart. »Ich bin ihm ja auch noch nicht in die Quere gekommen.« Er blickte mich prüfend an. »Tut mir leid, Jasmin. Ich habe vergessen, dass du aus einen Land kommst, wo es unvorstellbar ist, dass irgendwelche Gruppen das Recht in die eigene Hand nehmen, die Polizei korrupt ist und Politiker das Militär für ihre Ziele
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