Der Ruf des Kolibris
Elena aufgefallen.
Ich lachte.
Damián lächelte. »Das hätte mir genügen sollen, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, dich noch einmal zu sehen, Jasmin ...«
Er drückte meine Hand. Ein ungeküsster Kuss schwebte zwischen uns. Ich hielt es schier nicht aus. Aber ich musste. Meine Chance würde noch kommen, dachte ich. Nachher wird es passieren. Es wird geschehen, was geschehen muss!
Die Anspannung der durchrittenen Nacht begann von Damián abzufallen, als er hinter Iván ins Büro trat. Doch als mein Blick seinen auffing – klar, fragend, mitfühlend und leicht bestürzt –, wusste er, dass die blutigen Ereignisse dieser Nacht ihn meilenweit von mir trennten. Er würde es mir nicht erzählen können, und wenn er es doch eines Tages musste, würde er mir kaum vermitteln können, warum er, Damián, seinen Onkel Tano nicht der Polizei ausliefern konnte.
Da standen mein Vater, Leandro, Elena und ich und blickten ihm vertrauensvoll entgegen. Er sah vier ausgeruhte, heitere und dankbare Menschen, die die Nacht in den Kissen eines Luxushotels verbracht, sich geduscht und gut gefrühstückt hatten und nun ihre Dankbarkeit loswerden wollten. Doch Dankbarkeit war das, was er an diesem unseligen Morgen am wenigsten brauchen konnte. Er hatte auf ganzer Linie versagt, er hatte ein Blutbad nicht verhindern können.
Rocío blinzelte ihm wild zu und deutete mit dem Kinn auf den Scheck, den der große Leandro Perea eben ausgefüllt hatte. Er verscheuchte seine Gefühle und zwang sich zu einem Lächeln. Meinen fragenden Blick vermied er so gut es ging. So besorgt, wie ich ihn anschaute, fühlte er sich durchschaut. Und da ich nun einmal schon ahnte, dass unsere Befreiung nur der harmlose Teil einer sehr viel ernsteren Aktion war, griff er sich in die Taschen seiner schlammverkrusteten Hose und legte den Schmuck und das Handy auf den Tisch, die Tano den Toten abgenommen und ihm übergeben hatte, damit er sie zurückgab.
Leandros Entschlossenheit, ihn nicht ohne Dank davonkommen zu lassen, und unser Drängen, er möge es zulassen, dass mein Vater seine Schwester Clara untersuchte, halfen ihm, Trauer, Scham und Entsetzen zurückzudrängen und in die Welt normaler Gespräche zurückzufinden. Er hatte zwar keine Hoffnung, dass mein Vater etwas anderes diagnostizieren würde als ein halbes Jahr zuvor die Ärzte im Krankenhaus von Popayán, aber er durfte seiner Schwester diese eine, letzte Chance nicht vorenthalten. Nur mussten wir gleich aufbrechen, solange Onkel Tano noch fern von Yat Pacyte damit beschäftigt war, den Sieg über Antonios Truppe zu feiern und den erbeuteten Sattelschlepper von seinen Kämpfern plündern zu lassen.
Damián musste zwar nicht befürchten, dass Tano uns etwas antat, waren wir doch die Geiseln, die er Don Antonios Händen entrissen hatte, aber wenn wir mit Tano zusammengetroffen wären, wäre schnell offenbar geworden, wessen Neffe er, Damián, war. Solange er immer wieder hinaufritt zum Yat Pacyte, dem Haus am Hang, konnte er uns kaum glaubhaft versichern, dass er mit den gewalttätigen und kriminellen Machenschaften seines Onkels nichts zu schaffen hatte. Und er hatte ja durchaus damit zu schaffen. Sehr viel mehr, als er es manchmal wahrhaben wollte.
Deshalb schlug er vor, dass wir sofort aufbrachen. Es gelang ihm, schnell ein Auto zu organisieren. Die Aussicht, zwei oder drei Tage mit mir zu verbringen, erfüllte ihn zunehmend mit Freude und Erregung. Müdigkeit und Erschöpfung verflogen. Jede Faser in seinem Körper, alle Sinne bis in die Fingerspitzen, sein Herz und jede Nervenzelle in seinem Hirn freuten sich unbändig darauf, mir nahe zu sein und mich sehen zu können, wann immer er sich umschaute. Ich saß im Fond des Autos, er begegnete meinem Blick im Rückspiegel. Und wenn ich gerade aus dem Seitenfenster schaute, konnten seine Augen sich an meiner hellen Haut kaum sattsehen. Ich darf sie küssen!, sagte er sich, halb benommen von Freude. Es gefällt ihr. Sie liebt mich ... zumindest ein wenig ... Er war entschlossen zu genießen wie ein unschuldiger Student eine Studienfahrt zusammen mit seiner ersten Liebe. Drei Tage, in denen er ignorieren würde, was unüberbrückbar zwischen uns stand – das musste ihm erlaubt sein, fand er.
Er wählte, als wir auf den Pferden saßen, nicht den bequemeren, sondern den kürzeren Weg hinauf nach Yat Pacyte, obwohl er wusste, dass kurz vor dem Ziel ein Bergrutsch den Weg blockierte. Auch wenn er auf meine Frage hin bestritt,
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