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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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wieder ins Büro des CRIC begeben und angefangen, unsere Befreiung zu organisieren. Am späten Nachmittag kam Iván zurück, der versucht hatte, ihn, Damián, auf dem Weg in die Berge abzupassen. Iván, der Bärtige mit dem Zopf und den behaarten Armen, war Rocíos Freund. Wovon er lebte, war unklar. Aber er liebte es, seine Fantasien von Freiheit und Abenteuer in Lederjacke auf dem Motorrad auszuleben. Den Regionalrat der Indígenas schien er als seine Gang zu betrachten. Damián mochte ihn nicht besonders. Iván neigte zu Eigenmächtigkeiten. Auf seiner Fahrt in die Berge hatte er denn auch mehr Schaden angerichtet als genützt. Damián war in höchstem Maße alarmiert, als Iván verkündete, er habe einen von Tanos Leuten getroffen und ihn gebeten, nach Yat Pacyte hinaufzureiten und ihn, Damián, zu holen.
    Was das bedeutete, war ihm sofort klar gewesen: Tano würde Antonios Aktion als Provokation werten, seine Leute sammeln und zur Gegenaktion schreiten.
    In Windeseile organisierte Damián zehn Leute, die uns gegen Mitternacht aus dem Gasthaus von Antonios Schwager befreien sollten, und schwang sich selbst noch vor Sonnenuntergang auf sein Moped, um in die Berge zurückzurasen. Als er sein Pferd die Berge hinaufhetzte, war es bereits stockdunkel. Er war geritten wie der Teufel, aber er kam zu spät.
    Als er Antonios Camp erreichte, war das Gemetzel schon vorbei gewesen. Ein großes Siegesfeuer brannte, und fünf Guerilleros lagen tot im Schlamm, unter ihnen der falsche Kellner, den Damián beim Diplomatenball erkannt und verjagt hatte, der Rest war geflohen.
    Zur Feier des Siegs hatte Tano seinen Leuten den Lastwagen geschenkt. Doch sie hatten ihn nicht zum Laufen gebracht und waren nun dabei, ihn auszuräumen. Er hatte Drogerieartikel geladen, Shampoos, Seife, Abschminktücher, Nagellack, Rasierwasser, Dinge, die man nicht wirklich dringend brauchte. Und ihm, Damián, überreichte Tano eine Handvoll Kettchen, Uhren und ein Satellitenhandy. »Die gehören sicherlich den Leuten, die der Hurensohn entführt hat. Gib sie ihnen in meinem Namen zurück. Wir rauben die Gäste in unserem Land nicht aus.«
    Es war absurd! Aufgebracht und verzweifelt versuchte Damián, Tano und seinen Männern klarzumachen, dass eine solche blutige Gewalttat alles zunichtemachte, wofür der Regionalrat der Indígenas kämpfte. Wie konnten sie Frieden und demokratische Grundrechte einfordern, wenn sie sich gegenseitig abschlachteten?
    Tano hatte nur gelacht und ihn fortgeschickt wie einen kleinen Jungen. So verzweifelt und zornig war Damián gewesen, so sehr hatte er sein Pferd gehetzt, dass ein Ast ihn an der Hand verletzte. Dabei wäre er am liebsten überhaupt nicht mehr nach Popayán zurückgekehrt. Mit solch bösen Bildern im Kopf wollte er mir nicht unter die Augen treten.
    Allerdings blieb Damián nichts anderes übrig, denn er musste wissen, ob unsere Befreiung gelungen war. Und so kam es, dass er die zweite Nacht hintereinander erst auf dem Pferd und dann auf dem Moped verbrachte. Gegen halb neun traf er im Büro des CRIC ein, Rocío kam ein paar Minuten später und beruhigte ihn. Alles sei glatt gelaufen, wir seien im Hotel La Plazuela untergebracht.
    Ein Luxusschuppen! Sagenhaft teuer mit seinen fünfzig Dollar pro Zimmer. In Popayán konnte man schon für vier Dollar gut übernachten. Zu gern wäre Damián sofort zu uns geeilt, zu mir, um sich an meinem Blick zu betrinken und zu beruhigen, sich in meinen unschuldigen Armen zu entspannen und sich von meiner strahlenden sauberen Welt weißer Laken, weicher Kissen und Getränken in der Hausbar einhüllen und trösten zu lassen.
    Aber so verdreckt, wie er war, konnte er dort nicht aufkreuzen. Frische Sachen hatte er bei seinem Onkel Gustavo im Laden in der Calle Sexta, wo im Warenlager auch ein Bett für ihn stand. Doch bevor er sich davonmachen konnte, trafen wir ein. Er hörte uns auf der Treppe kommen und zog sich in einen Nebenraum zurück.
    Er hörte uns im Büro eintreten, er hörte Leandro und meinen Vater auf Rocío einreden. Er hörte, dass sie sich bedanken wollten. Aber mich hörte er nicht. Das beunruhigte ihn so, dass er sich nicht über den Gang und die Treppe davonschlich, sondern wie gebannt stehen blieb, bis Rocíos Freund Iván herüberkam, um ihn zu holen.
    Damián fragte ihn, ob ich dabei sei, ein Mädchen mit blauen Augen und Haar von der Farbe von Maisblüten. »Ich glaube schon«, antwortete Iván. »Auf jeden Fall sind es zwei Mädchen.« Ihm war vor allem

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