Der Ruf des Kolibris
diesen Kellner ging. Ich rief mich aber zur Ordnung. Auch der Kellner hatte ein Recht auf Leben.
»Als ich ihn unter den Toten sah«, fuhr Damián leise fort, »wusste ich bereits, dass er Don Antonios Truppe tatsächlich vor gut einem halben Jahr verlassen hatte, um in Bogotá ein ehrliches Leben zu führen. Er hatte eine Anstellung in der Catering-Firma gefunden, die beim Ball serviert hat. Sein Pech war, dass ich ihn erkannte, ohne zu wissen, dass er nicht mehr zu Antonios Kämpfern gehörte, und dass ich ihn zur Rede stellte und ihm damit drohte, dass ich seinem Chef sagen würde, wo er herkam. Damit habe ich ihm sein neues Leben zerstört. Er hatte keine andere Wahl, als in den Cauca zurückzukehren und sein altes Leben wieder aufzunehmen und ... zu sterben.«
»Aber du konntest doch gar nicht wissen ...«
Damián hob die Hand. »Der wahre Grund, warum ich ihm damit gedroht habe, ihn als Spion der FARC zu denunzieren, war, dass er auch mich erkannt hatte, den Neffen von Tano el Carnicero, Tano dem Schlachter, der vor drei Jahren die deutsche Lehrerin, Susanne Schuster, entführt hat. Ob meine Gönner eigentlich wüssten, fragte er mich grinsend, dass der gute Junge mit dem Stipendium des CRIC ein mieser kleiner Verbrecher sei.«
»Er wollte dich erpressen?«, sagte ich aufgebracht.
»Nein, Jasmin. Er hat mir zeigen wollen, dass wir beide im selben Boot sitzen, dass ich nicht besser bin als ein Kellner, nur weil mir der Botschafter die Hand geschüttelt hat und ich einen Smoking trage.«
»Trotzdem konntest du nicht wissen, dass der Mann wieder zu Don Antonio zurückkehrt und später von deinem Onkel und seinen Leuten getötet werden würde.«
Damián blickte mich lange an und nickte dann. »Nein, wissen konnte ich das nicht. Aber ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe nur an mich gedacht. Denn wenn der Kellner sich tatsächlich an die Behörden gewandt hätte, dann hätte mein Onkel Tano kaum Schwierigkeiten bekommen – denn ihn hätten sie erst einmal festnehmen müssen –, ich aber umso mehr.«
Ich nickte und merkte nicht, dass ich immer noch nichts verstanden hatte und dass Damián bereits begonnen hatte, mir das zu sagen, was ich so sehr fürchtete, weil es mir – weil es uns beiden – keine andere Wahl mehr ließ.
»Die Polizei«, sagte ich, »hätte dich vernommen zum Entführungsfall Susanne Schuster.«
»Nicht die Polizei, Jasmin. Sondern Spezialeinheiten des Militärs. Sie sind nicht zimperlich mit uns, wenn es darum geht, Entführungsfälle zu lösen. Ich wäre entweder für viele Jahre im Gefängnis verschwunden, falls ich nicht überhaupt spurlos verschwunden wäre, oder ich hätte den Aufenthaltsort der Geisel verraten müssen. Und damit hätte ich wiederum nur bewiesen, dass ich in die Sache verwickelt bin.«
»Aber sie hätten es dir doch auch beweisen müssen, Damián. Leandro würde dir einen Anwalt stellen, da bin ich sicher. Elena ist meine Freundin, sie wird ...«
Damián legte mir den Finger auf die Lippen. »Scht, Jasmin. Ehe du meine Verteidigung vor Gericht organisierst, musst du eines wissen: Ich war tatsächlich an der Entführung von Susanne Schuster beteiligt.«
Nun hatte er es doch gesagt: den Satz, vor dem ich Angst hatte, seit Clara von Susanne Schuster erzählt und ich Onkel Tano in die bösen, kalten Augen gesehen hatte.
»Ich habe die Lehrerin in den Hinterhalt gelockt«, fuhr Damián fort. Sein Blick war wild und verzweifelt. »Ich war das, Jasmin, ich!«
»Aber ...« Ich verschluckte mich fast. »Warum?«, fragte ich verzweifelt. »Warum, Damián?«
Er senkte den Blick.
Das also war das Ende, dachte ich. Es war ein unsagbar niederschmetternder Gedanke. Der Mann, der vor mir auf meiner Bettkante saß, breitschultrig, stark und mit dieser kraftvollen Leichtigkeit in den Bewegungen, die mich von Anfang an fasziniert hatte, wirkte auf einmal müde und kraftlos.
»Warum?«, schrie ich fast. »Sag es mir!«
»Ja, warum?« Er blickte mich an. Seine Augen waren wie erloschen. »Wie soll ich dir das erklären?« Er schaute sich im Zimmer um. Das Hotel war inzwischen erwacht. Man hörte Türen gehen, Stimmengemurmel, Schritte auf dem Gang. Noch ein paar Minuten, dann würde Felicity wieder klopfen. »Und jetzt«, fuhr er fort, »ist auch nicht mehr die Zeit, es zu tun.«
Ein Funke Hoffnung blitzte in mir auf. Ich klammerte mich daran. Wenn er mir noch etwas erklären musste, dann ... dann war es doch noch nicht das Ende.
»Ich möchte es aber
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