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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Tanzveranstaltung.«
    »Zum Glück bist du ja noch nicht volljährig«, setzte meine Mutter drauf und zog den Mantel aus.
    »Darüber reden wir morgen«, versuchte mein Vater zu schlichten.
    »Da gibt es nichts zu reden!«, schrie ich aufgebracht. »Und wenn ihr nicht mein Lebensglück zerstören wollt ...«
    »Nun mach aber mal einen Punkt!«, donnerte meine Mutter. »Und schrei bitte nicht so! Niemand zerstört dein Lebensglück. Wir wollen nur dein Bestes. Und du wirst gefälligst vernünftig mit uns reden!«
    »Aber nicht mehr heute Nacht«, sagte mein Papa. »Wir werden jetzt alle erst einmal darüber schlafen.«

de

– 8 –
     
    I ch schlief die ganze Nacht nicht. Ich hörte den Regen rauschen, hörte das Geschrei der Nachtvögel, den fernen Autoverkehr. Ich wusste nicht, wie ich ins Bett gekommen war. Irgendwie musste ich mich ausgezogen haben. Mein Körper tat es automatisch, mein Kopf war gestopft voll mit Eindrücken, die so gewaltig waren, dass sie sich gegenseitig blockierten und behinderten.
    Ich heulte sogar, vor Glück, glaube ich. Ich war verliebt. Es war erschreckend großartig. Es war eine so ungeheuerliche Gewissheit, dass sie alles überdeckte, was ich bis dahin an Gefühlen kannte und erlebt hatte. Simon? Ich erinnerte mich kaum an ihn, den netten Jungen mit den Rastalocken, der mir zum Abschied die Uhr seines Vaters gegeben hatte, damit ich mich nicht verliebte und zurückkehrte.
    In der Tat, sie hatte mir Glück gebracht. Allerdings Simon nicht. Sie hatte genau das bewirkt, was er hatte verhindern wollen. Wenn sie nicht von dem Seidenäffchen geklaut worden wäre, hätte ich Damián nicht kennengelernt, wir hätten nie miteinander gesprochen.
    Mit jeder Faser!, dachte ich. Das gab es wirklich. Jede Faser in mir, von den Haarwurzeln bis zu den Zehenspitzen begehrte ihn, wollte ihm nah sein, seinen Körper fühlen, die harten Muskeln, den tiefen Atem, die bronzefarbene Haut, glatt, weich und kühl wie das Blütenblatt einer Rose, wollte für immer gefangen sein in seiner Umarmung.
    Aber empfand der stolze und kluge Indio, der sich im Smoking so schwindelerregend gut bewegte wie in schlabbrigen Gärtnerhosen, dasselbe für mich? Ich war nicht besonders hübsch. Und ich hatte keine Ahnung von dem Leben in Kolumbien. Würden seine Eltern mich akzeptieren?
     
    »Die erste Liebe ist nur eine Übung«, erklärte mir Papa nach dem Sonntagsfrühstück. »Du weißt nicht, wie dir geschieht. Die Hormone spielen plötzlich verrückt. Und weil es das erste Mal ist, dass es dir passiert, erscheint es dir einmalig und außerordentlich. Aber es ist nur ein ganz natürlicher Vorgang, Jasmin, glaub mir. Du wirst dich noch oft verlieben. Das ist eine reine Sache der Neuronen und Hormone. Die Liebe ist etwas ganz anderes. Sie gründet sich auf gemeinsame Werte, ähnliche Interessen ...«
    »Ich bin nicht verrückt«, antwortete ich. »Und blöd bin ich auch nicht.«
    Meine Eltern saßen am Tisch, aufrecht und konzentriert, als müssten sie über mich Gericht halten. Meine Mutter sah kopfweherisch aus. Am liebsten hätte ich gelacht, weil sie derart ernst wirkten, so als gälte es den Weltuntergang zu verhindern.
    »Das sage ich doch auch nicht, Jasminchen«, fuhr mein Vater milde fort. »Niemand sagt, dass du verrückt bist. Ich verstehe dich nur zu gut. Du hast dich in einen attraktiven jungen Mann verguckt. Die erste Liebe ist immer gewaltig und überraschend. Da glaubt man, es gäbe keinen anderen Menschen in der Welt und man würde niemals ohne ihn leben können. Aber du kannst deinem alten Vater ruhig glauben. Das geht vorbei. Und in ein paar Jahren lächelst du darüber.«
    »Bestimmt nicht«, antwortete ich. Dabei hatte ich mir vorgenommen, nichts zu sagen. »Und ich habe mich auch nicht verguckt, wie du das nennst.«
    »Wie stellst du dir das denn vor?«, griff Mama ein, leicht hysterisch angeschrillt. »Willst du mit ihm im Dschungel leben und fünf Kinder zur Welt bringen? Ist es das, was du willst? Du kannst ja nicht mal kochen!«
    »Damián ist keineswegs so primitiv, wie du denkst!«, keifte es aus mir heraus. »Er studiert Ökonomie. Er will in den Indianergebieten des Cauca eine Universität gründen! Deshalb macht er ein Praktikum im Colegio Bogotano. Und dass er gesellschaftlich mit uns gleichgestellt ist, siehst du schon daran, dass er zum Diplomatenball eingeladen wurde. Da werden nämlich nur handverlesene Leute reingelassen.«
    Mein Vater runzelte die Stirn.
    Meine Mutter sagte es

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