Der Ruf des Kolibris
schmeißen und mit einem indigenen Revolutionär in den Dschungel flüchten. Daraufhin hatte Elenas Mutter mit der Schuldirektorin telefoniert und Damiáns Schicksal war besiegelt. Vielleicht hatte er es genau so gewollt, vielleicht hatte er es sogar herausgefordert, als er sich auf dem Diplomatenball mit einem der reichsten Männer des Landes anlegte ...
Jedenfalls, als ich in der großen Pause ins Hausmeisterbüro lief, um mich nach Damián zu erkundigen, erfuhr ich, dass er montags nie komme, und am Dienstag sagte mir der Hausmeister in knappen Worten: »Der kommt überhaupt nicht mehr.«
»Warum?«, fragte ich.
»Keine Ahnung.«
»Und woher wissen Sie das?«
»Von der Verwaltung.«
»Haben sie ihn rausgeschmissen?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, er kommt nicht mehr.«
Ich rannte zum Klo und heulte. Es war so unfair! Es war gemein und unfair. Es war ungeheuerlich!
Elena merkte, dass ich total durch den Wind war, denn in der Mittagspause konnte ich nichts essen. Sie schleppte mich hinaus in den Park und löcherte mich mit Fragen. Ich erzählte, dass ich Streit mit meinen Eltern gehabt hatte. »Die glauben, sie müssten mich vor Damián schützen! Sie haben Angst, ich könnte mich, nun ja, in Damián verguckt haben.« Es war zwar nicht ganz die Wahrheit, aber Elena musste ja nicht unbedingt wissen, dass ich mich in Damián verliebt hatte, jedenfalls jetzt noch nicht.
Sie schwor Stein und Bein, dass sie nichts davon wusste, ob ihre Eltern an der Schule Stimmung gegen Damián gemacht hatten. An das, was beim Ball oben im Panoramastockwerk geschehen war und was sie gesagt hatte, erinnerte sie sich nur nebelhaft. Es tat ihr furchtbar leid, dass sie mit ihrem betrunkenen Gerede über den Affen und die geklaute Uhr Damián in die Scheiße geritten hatte, falls es wirklich ihr Gerede gewesen war, was dazu geführt hatte, dass er nicht mehr kam. Sie versprach, sie werde ihre Eltern fragen, ob sie dafür gesorgt hatten, dass Damián seine Praktikumsstelle im Colegio Bogotano verloren hatte.
»Aber ich glaube nicht, dass es deswegen ist«, sagte sie. »Mein Vater hat es nicht nötig, so was zu tun. Warum sollte er sich an Damián rächen? So einer ist mein Vater nicht. Und du hast dich doch nicht wirklich in ihn verknallt, oder?«
»Darum geht es nicht«, behauptete ich. »Es ist einfach unfair! Es ist ungerecht. Auf den bloßen Verdacht hin, dass er ein Dieb sein soll, bloß weil das jemand sagt, kann man ihn doch nicht rauswerfen. Man muss ihn doch wenigstens anhören. Er muss sich doch verteidigen können.«
Elena zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat er von selbst gekündigt. Das wissen wir doch nicht.«
»Dann müssen wir es herausfinden.«
»Und wie?«
»Ich frage die Rektorin.«
»Das kannst du nicht bringen!«, rief Elena. »Da würden die doch nur Verdacht schöpfen.«
»Was für einen Verdacht denn?«
»Die Rektorin würde deine Eltern anrufen, wenn du im Rektorat einen Aufstand machst. Und alle würden denken, dass da was läuft.«
»Erstens, wer sagt, dass ich einen Aufstand mache. Und zweitens, man wird sich doch noch für Benachteiligte einsetzen dürfen. Man muss es sogar.«
»Hm.« Ich sah es Elena an, dass mein Sozialfimmel sie nicht beeindruckte. »Er sieht ja schon voll süß aus«, überlegte sie. »Aber ein Indígena, das ist nicht so einfach. Ich meine, wir sind keine Rassisten, wir leben im 21. Jahrhundert, aber die Mentalität ist doch eine ganz andere.« Sie kicherte. »Andererseits ... ich würde ihn auch nicht von der Bettkante stoßen.«
Wir kicherten uns ein. Dabei war ich total sicher, dass sie noch keinen Jungen über ihre Bettkante gelassen hatte.
»Du musst mir helfen, Elena«, sagte ich. »Ich brauche zwei Stunden.«
»Wozu?«
»Ich habe eine Idee, wie ich ...« Ich zögerte zwar, aber dann sagte ich es doch. »Wie ich Kontakt mit ihm aufnehmen könnte, um zu erfahren, was wirklich passiert ist. Ehe ich im Rektorat einen Aufstand mache.«
»Wie?«
»Über ...« Ich entschied mich, auch hier nicht die ganze Wahrheit zu sagen. »Über die Universität. Ich fahr heute nach der Schule oder morgen hin und frage nach ihm. Vielleicht habe ich Glück. Nur meine Eltern dürfen nichts davon mitkriegen. Sie würden sich viel zu sehr aufregen.«
Elene grinste. »Und was soll ich tun?«
»Wir gehen reiten, heute nach der Schule, wie immer. Aber nur du, ich nicht. Und damit meine Mutter keinen Verdacht schöpft, rufen wir sie an.«
»Warum sollte sie Verdacht
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