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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Schlamm nach den Edelsteinen zu suchen, die ihr so sehr zu verachten vorgebt.«
    Damiáns Augen blitzten gefährlich.
    »Kinder!«, rief mein Vater beschwichtigend. »Kein Grund, sich hier zu streiten. Soziale Widersprüche müssen dadurch gelöst werden, dass man miteinander redet. Und, Damián, dir wollte ich sagen, dass Señor Perea bereit ist, etwas zu tun. Er wird mir helfen, für die Guaqueros eine Krankenstation zu errichten. Und vielleicht könnt auch ihr euch einigen, wenn ihr einander zuhört. Es ist ja auch in Leandros Interesse, wenn die Indígenas Schulen und Krankenhäuser bekommen und eine Universität.«
    Oje, mein Vater! Unerschütterlich in seinem Glauben an die Vernunft und das Gute im Menschen.
    Inzwischen hatte sich Elena wieder so weit von ihrem Hustenanfall erholt, dass sie dazwischenkrächzen konnte: »Das ist doch der Dieb!«
    Damián fuhr herum.
    »Still!«, zischte ich in Elenas Ohr.
    »Das ist doch der, der dir die Uhr geklaut hat!«, sagte sie noch lauter. »Oder vielmehr, dem der diebische Affe gehört, der dir die Uhr geklaut hat. Ist das nicht so? Ist das nicht dieser Damián Dagua, der im Colegio Bogotano als Hausmeistergehilfe arbeitet? Einen Diebstahl hatten wir dort schon. Als Nächstes sind vermutlich die Computer dran.«
    »Elena!«, fauchte ich. »Mir hat niemand meine Uhr geklaut. Trüge ich sie sonst hier am Arm?«
    »Aber, du hast doch gesagt ...«
    »Halt den Mund, du bist total betrunken!«
    »So, wenn du meinst?« Sie schnappte ein und torkelte. Ich musste sie festhalten, damit sie nicht sonst wohin segelte.
    Damiáns Blick streifte mich, sanft wie der letzte Hauch eines Sommerwinds, bevor es kühl wird und die Mücken zu stechen beginnen. Dann blickte er in die Runde. »Buenas noches, señores y señoras« , sagte er mit einer schrecklich eisigen Höflichkeit, drehte sich um und verließ mit langen Schritten den Saal. Er blieb auch am Fahrstuhl nicht stehen. Er nahm die Treppe, vermutete ich. Bitter und zornig! Ich konnte es ihm nachfühlen, ich spürte seinen Zorn körperlich. Und ich schämte mich so sehr, dass es wehtat. Leandro Perea hatte es nicht einmal für nötig gehalten, den Indio zu siezen. Mein Vater zwar auch nicht, aber das lag daran, dass er das Spanische noch nicht so gut beherrschte und ein freundlicher Mensch war. Aber bei Perea war es pure Überheblichkeit gewesen.
    Der Ball hatte grässlich angefangen und endete fürchterlich. Niemand von uns hatte jetzt noch Interesse am Ausblick. Wir fuhren dicht gedrängt mit dem Fahrstuhl hinunter. Elena konnte sich von der Idee nicht lösen, dass dieser Damián derjenige sei, von dem ich ihr erzählt hatte, und sie fragte mich immer wieder, ob ich gewusst hätte, dass er hier war, und was er hier zu suchen habe. John Green betonte, dass niemand hier hereinkomme, der keine Einladung habe, was ihn, je mehr er es betonte, immer weniger zu überzeugen schien.
    Eine Stunde später wollten meine Eltern endlich nach Hause aufbrechen. Da hatte ich schon eine ganze Weile das Gefühl, ich würde es keine Sekunde länger aushalten. Ich konnte kaum noch stehen, die Füße taten mir weh und in meinen Kopf ging nichts mehr hinein von all dem Gerede. Ich wollte nur noch ins Bett und nachdenken.
    Auf der Heimfahrt im Taxi fragte Papa mich, was es mit Elenas Behauptungen auf sich habe. Auf ihn habe Damián einen höflichen und gebildeten Eindruck gemacht.
    Und Mama wollte es auf einmal ganz genau wissen. »Was ist das für eine Geschichte mit der geklauten Uhr?«
    Woher zum Teufel wusste sie das?
    »Elenas Mutter hat erzählt, dass es Gärtner gibt, die über die Balkone einsteigen und die Wohnungen ausräubern. Manchmal schicken sie kleine Kinder die Balkone hoch. Die kommen durch die kleinsten Fenster. Manche haben auch dressierte Affen.«
    Sie insistierte so lange, bis ich einräumte: »Ja, das stimmt. Mir hat letzten Sonntag ein Affe die Uhr vom Nachttisch gestohlen. Aber der Gärtner hat sie ihm dann weggenommen und mir zurückgegeben, als ich aus dem Haus ging, um einen Spaziergang zu machen.«
    »Und der Gärtner, war das dieser Damián?«
    »Könnte sein«, sagte ich.
    »Was heißt, könnte sein? Ist er es oder ist er es nicht?«
    »Ja, ich denke schon!«
    Wenn ich gehofft hatte, dass meine Mutter sich damit zufriedengab, hatte ich mich getäuscht, auch wenn sie während der Fahrt zunächst mit meinem Vater den Abend besprach, wie sie es immer tat. »Eine nette Frau, die Mutter von Elena, aber sehr einsam und traurig. Sie

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