Der Ruf des Kolibris
deutlicher: »Das wird noch zu klären sein!«
»Da ist nichts zu klären!«, rief ich.
Dabei hätte ich eigentlich aufhorchen und nachfragen müssen. Wäre ich nur nicht so aufgebracht gewesen und hätte ich mich weniger über meine Eltern geärgert, meinen Vater, der wieder mal neurologisierte – wie ich seine medizinischen Erklärungen meiner Gefühle nannte –, und meine Mutter, die wieder mal allerlei gegen jemanden einzuwenden hatte, den sie gar nicht kannte, nur weil er anders lebte als wir.
»Ihr habt doch nur Angst«, keifte ich, »dass ich meinen eigenen Weg gehe und ihr nicht mehr bestimmen könnt, was ich tue!«
»Ja«, antwortete Mama streng. »Davor habe ich allerdings Angst, meine Liebe. Denn ich bezweifle, dass dir klar ist, was das bedeutet, wenn du dich an diesen Damián bindest. Weißt du denn, wie er lebt, kennst du seine Familie? Weißt du, ob diese Familie überhaupt eine Weiße akzeptieren würde? Und lass dir gesagt sein, unter den Eingeborenen haben Frauen nicht viel zu melden. Da wirst du dich als Europäerin noch ganz schön umgucken.«
»Damián ist anders!« Mir war selbst klar, dass ich das überhaupt nicht wissen konnte. Aber Wut und Trotz trugen mich fort. »Und ihr habt nur Vorurteile. Ihr seid gar nicht so liberal, wie ihr immer tut. Armen Eingeborenen helfen, das ja, aber wehe, einer kommt und will gleichwertig behandelt werden.«
»Schluss jetzt! Das muss ich mir nicht anhören!« Wenn die Stimme meiner Mutter kippte, wurde es ernst.
Mein Vater versuchte zu vermitteln. »Schau mal, Jasmin«, sagte er. »Damián scheint ein durchaus vernünftiger, ernsthafter und gewissenhafter junger Mann zu sein. Ich habe mich ja länger mit ihm unterhalten. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass er erreicht, was er anstrebt. Er wirkt sehr entschlossen. Aber wir als deine Eltern stellen uns durchaus die Frage und müssen sie uns stellen, ob er der geeignete Mann für dich ist. Man kann die kulturellen Unterschiede nicht einfach beiseitewischen. Du bist ein sorgenfreies Leben gewöhnt ...«
Hatte er eine Ahnung. Sorgenfrei! Ja, materiell. Aber dass ich unglücklich gewesen war, das hatte er nie bemerkt. Ja sicher, ich hatte alles, ich würde mit achtzehn den Führerschein haben, meine Eltern würden die Studiengebühren bezahlen können. Aber sorgenfrei? Doch das würden meine Eltern nie verstehen. Es hatte keinen Sinn, ihnen es zu erklären.
»Du weißt nicht, was materielle Not ist«, fuhr mein Vater fort. »Du bist eine lückenlose medizinische Versorgung gewöhnt ...«
»Und ich darf dich daran erinnern«, unterbrach ihn Mama, »dass du dich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hast, für ein Jahr in Kolumbien zu leben. Du hast uns als wahnsinnig bezeichnet und die Gefahren aufgezählt. Und jetzt auf einmal soll das alles ganz anders sein, nur weil ein Junge dir den Kopf verdreht hat.«
»Er hat mir nicht den Kopf verdreht! Ich liebe ihn. Damit werdet ihr euch abfinden müssen.«
»Solange du bei uns lebst, Jasmin, und das wirst du, bis du achtzehn bist, finden wir uns mit gar nichts ab. Wir haben nicht nur die Pflicht, Schaden von dir abzuwenden, wir wollen es auch, weil wir dich lieb haben. Wir möchten, dass du glücklich wirst.«
»Aber ihr zerstört mein Leben!«, schrie ich. »Ihr seid schuld, wenn ich unglücklich werde! Ich hasse euch!«
Meine Eltern blickten mich so entgeistert und betroffen an, dass ich nicht anders konnte, als aufzuspringen und in mein Zimmer zu laufen. Ich warf mich aufs Bett und heulte.
Das hatte ich doch alles überhaupt nicht sagen wollen. Aber warum mussten sie auch so ein Drama daraus machen? Es war doch noch gar nichts entschieden. Damián hatte mir gestern Abend deutlich zu verstehen gegeben, dass er einer Beziehung keine Zukunft gab. Dass er sie nicht wollte. Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht liebte er mich nicht. Das war die nackte, trostlose Wahrheit. Mit diesem Gedanken war ich am Morgen aufgewacht. Ich fühlte mich wie gerädert, ich war benommen, ich stand neben mir. Die Hochgefühle der Nacht waren verloschen, ätzende Asche lag in meinem Herzen.
Ich war zum Frühstück geschlichen mit Wasser Oberkante Unterlider. Am liebsten hätte ich mich bei Papa ausgeheult und ihm all die Fragen gestellt, die in meinem Gemüt herumätzten: Warum ist er so? Warum küsst er mich und sagt mir dann, dass es nichts werden kann? Warum hat er keinen Mut? Warum gibt es auf der Welt solche krassen Unterschiede? Warum lebe ich in
Weitere Kostenlose Bücher