Der Ruf des Kolibris
nicht. Er reichte dem Gran Guaquero seine Hand. Der Bärtige kaute mit den Unterzähnen an seinem Oberlippenbart.
»Und jetzt verfüge über uns, Damián«, fuhr Leandro fort. »Wir sitzen hier mindestens drei Tage fest. Und die stehen wir dir und deiner Schwester zur Verfügung, wenn du magst. Und wenn ich sage, verfüge über uns, dann meine ich, verfüge über alles, worüber ich im Moment verfügen kann. Leider nicht über einen Hubschrauber. Aber wenn wir Autos brauchen ...«
Damián schaute mich an, fragend fast, nachdenklich und abwägend, und dann wandte er sich meinem Vater zu. »Ich bin es meiner Schwester schuldig, dass ich jede, auch diese Chance nutze. Aber der Weg ist beschwerlich, Don Markus. Wir können nur einen Teil mit dem Auto fahren. Dann geht es mit Pferden weiter, einige Stunden in die Berge.«
»Oje«, seufzte mein Vater. »Unsere Töchter und Leandro können natürlich reiten, aber ich kann gerade mal oben bleiben, hoffe ich.«
Damián lächelte plötzlich offen. Und jetzt endlich duzte er meinen Vater auch. »Keine Sorge, die Pferde kennen den Weg. Und es geht langsam. Du wirst schon oben bleiben.«
»Na, dann bin ich ja beruhigt«, grinste mein Vater.
»Wann brechen wir auf?«, fragte Leandro.
»Gleich«, erwiderte Damián. »Das schaffen wir bis Einbruch der Dunkelheit.«
Er klang gehetzt.
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– 16 –
A ndererseits, worauf hätten wir noch warten sollen? Damián fuhr eine halbe Stunde später mit einem alten, klapprigen Ford vor unserem Hotel vor. Elena, mein Vater und ich quetschten uns in den Fond, und Leandro saß vorn. Wir fuhren auf der 25 nach Nordosten aus der Stadt hinaus. Im Tal war die Straße asphaltiert, als es dann in die Berge ging, bröckelte der Asphalt ein bisschen. Die Sonne ließ sich kaum blicken. Es nieselte. Aber es war immer noch deutlich wärmer als in Bogotá.
Gegen Mittag durchquerten wir Silvia, eine hektische kleine Stadt voller Verkehr, von dem man sich fragte, wo er herkam. Schließlich erreichten wir eine Ansammlung von Häusern am Ende eines Tals. Die Berge schoben sich bis hinauf in die Wolken. Damián fuhr das Auto hinter ein Haus und ließ uns aussteigen. Auf einer Koppel dösten vielleicht zwanzig struppige Pferde vor sich hin.
Ein Schild am Haus warb für Exkursionen zu Pferd nach Tierradentro mit seinen unterirdischen Grabstätten der Nasas. Aber Touristen, die das wollten, waren keine da. Auf der einzigen, schlammigen Straße waren nur Kinder und Alte zu sehen, viele in blauen Kitteln, und ein paar Mädchen, die kaum sechzehn Jahre alt sein konnten und schon Babys an der Brust trugen. Sie steckten in weiten Röcken, Strickpullovern und Ponchos. Die Gesichter unter den schwarzen Bowlerhüten waren ernst, fast finster.
Zur Pferdefarm gehörte ein Gasthaus, in dem alte Männer saßen und tranken. Eine Frau tischte uns Bandeja Paisa auf, einen Teller mit Reis, Bohnen, Maniok, Avocado, Hackfleisch, Spiegelei und Schwarte. Damián kümmerte sich derweil um die Pferde. Eine halbe Stunde später standen fünf gesattelte Pferde bereit, auf dem sechsten befanden sich die Medizinkoffer meines Vaters.
Über die knochenharten Sättel waren verfilzte Schaffelle gezogen. Sie hatten vorn einen Aufbau, wie man ihn von Westernsätteln kannte, nur dass der Sattelknauf fehlte. Die Gurte waren schwarz und rissig und die Steigbügel so breit, dass man mit dem ganzen Fuß aufsetzen konnte. Es waren Sättel, in denen Kuhhirten den Tag verbrachten und aus denen auch mein Vater nicht bei erster Gelegenheit herausfallen würde.
Elena stöhnte natürlich nicht nur über die Cowboysättel, sondern auch über die Gäule. Sie hielten einem Vergleich mit den englischen Halbblütern, die wir in Bogotá mit englischen Sätteln zu reiten pflegten, nicht stand. Aber sie waren für Wind und Wetter, steile Aufstiege und Geröll wie geschaffen.
Der Pferdebesitzer verteilte an uns noch Ponchos aus Plastik gegen den Regen. Sie hielten immerhin bis zu den Knien hinab halbwegs trocken. Dann ging es los. Damián ritt vorneweg, gefolgt von meinem Vater, mir und Elena. Leandro machte zusammen mit dem Packpferd am Strick den Schluss.
Ein unbändiges Glücksgefühl flatterte mir in der Magengrube herum. Ich versuchte nicht, es zu ergründen.
Die Bäume tropften, es roch nach feuchter Erde. Sobald irgendwo ein Baum voller Blüten hing – und in dieser Gegend ohne Jahreszeiten blühte es immer irgendwo –, schwirrten wie fliegende Smaragde und Rubine Kolibris von Blüte
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