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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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ich ihm sagen, dass ich ... Na ja. Wie sagte man einem Mann, dass man mit ihm schlafen wollte, ohne dass es peinlich wurde? Ich hatte keine Ahnung, aber ich hoffte, dass mir die richtigen Worte einfallen würden, oder die richtigen Signale und Gesten. Etwas mutiger, als ich mich fühlte, aber innerlich wie äußerlich entschlossen, stapfte ich den Weidenhang hinauf.
    Die Hütte war bereits überraschend klein geworden, da unten am Wald neben dem Maisfeld. Wie eine Fahne wehte der Rauch des Feuers über dem Wellblechdach. Die Lamas waren stehen geblieben und guckten mich an. Auch eines unserer Pferde, die noch ein ganzes Stück entfernt waren, hatte den Kopf gehoben und die Ohren aufgestellt.
    Das wiederum musste Damián bemerken und richtig deuten. Er blieb stehen und drehte sich um. Die Sonne fiel ihm ins Gesicht, der Bronzeton seiner Haut nahm eine fast kupferne Färbung an. Sein Haar glänzte wie polierter schwarzer Marmor. Er hatte außer dem T-Shirt noch eine alte Hose an, die ihm kaum über die Knie fiel. Und er war barfuß.
    Er kam mir nicht entgegen, ein abwartendes Lächeln lag auf seinen Lippen.
    »Hei«, sagte ich, als ich die letzten Meter überwunden hatte. Ich war natürlich wieder mal außer Atem, denn auch hier war die Luft ziemlich dünn.
    Damián antwortete nicht. Noch schöner als das leise Lächeln auf seinen Lippen war das Leuchten in seinen Augen. Sie wirkten weich wie schwarzer Samt zwischen den dichten Wimpern. Sein Blick schien mich zu streicheln, und ich dachte, ich müsste gleich ohnmächtig werden. Eine herrliche Ruhe lag auf seinem Gesicht, das eben noch, als er vom Feuer aufstand, traurig und bitter gewesen war.
    »Es tut mir leid«, sagte ich. Im Spanischen sagt man dafür » lo siento «, »ich fühle es«, und das kam dem, was ich ausdrücken wollte, sehr nahe. Ich fühlte mit ihm.
    »Was tut dir leid?«, fragte er zurück. Und auf Spanisch lautet das, wörtlich übersetzt: »Was ist es, was du fühlst?«
    »Allerlei«, antwortete ich. »Es tut mir leid, dass ich gestern plötzlich Angst hatte ...«
    »Aus gutem Grund«, antwortete er rasch, ehe ich fortfahren konnte, ihm zu erklären, dass mir auch das mit seiner Schwester leidtat.
    »Wie meinst du das?«, fragte ich überrascht.
    Seine Lippen waren halb geöffnet, und im direkten Licht der Sonne sah ich, dass ihm eine harte Antwort auf der Zunge schwebte, aber im nächsten Augenblick wurden seine Züge wieder weich und glatt. Statt mir die Antwort zu geben, die ihm im Sinn schwebte, hob er die Hand und strich mir sachte über die Wange. Ehe ich auch nur wusste, wie mir geschah, hatte er mich gepackt. Er zog mich an sich und küsste mich, liebevoll und verzweifelt.
    Für immer!, dachte ich. Für immer und ewig und auf Gedeih und Verderb. Jetzt war es unumkehrbar. Aber er löste sich von mir und schob mich weg.
    »Du bist so schön!«, sagte er gepresst. »Du hast Augen wie die Seen im Gebirge, in die nie ein Mensch seine Hand getaucht hat. Dein Haar ist wie Gold. Ich habe nie ein Mädchen gesehen, das so schön ist wie du, so klar, so geheimnisvoll und so ... so unschuldig und ... rein ...«
    »Und ich ...«
    Er unterbrach mich mit einer kleinen Geste seiner Hand. »Ich weiß, Jasmin. Ich weiß! Du hast ein großzügiges und ehrliches Herz, fast zu großzügig und zu ... zu unerfahren. Ich möchte dir nicht wehtun. Aber ich würde es tun müssen.«
    »Warum denn? Ich weiß sehr wohl, dass wir in sehr gegensätzlichen Welten leben. Das weiß ich doch. Es wird nicht leicht. Aber ich will ...«
    »Scht, Jasmin! Bitte!« So viel Liebe und Hingabe sah ich in seinem Gesicht, eine so übersprudelnde Zärtlichkeit und zugleich eine wilde Entschlossenheit, dass mir die Knie weich wurden. Ich würde gleich ohnmächtig vor ihm hinsinken.
    »Bitte«, fuhr er leise fort. »Es geht nicht. Glaub mir. Drei Jahre lang habe ich auf dem Colegio Bogotano mit euch gelebt, mit euch Weißen. Sie haben mich mit Achtung behandelt, das wohl. Sie würden nie einen Indio spüren lassen, dass sie seine Leute in den Bergen eigentlich für primitiv halten, dass sie nicht verstehen, wie wir so leben können.«
    Er schwenkte mit der Hand über die Weide und die ferne Hütte hin, die hier in dieser Gegend einen großen Reichtum darstellte.
    »Sie verstehen nicht, dass wir nicht versuchen, mehr aus uns zu machen, dass wir nicht in die Schulen streben, Arbeit suchen, dass wir nicht kämpfen für unser Fortkommen. Wenn es ein Sonderling wie ich so weit bringt,

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