Der Ruf des Kolibris
dass er an einer Privatschule einen Abschluss macht und studiert, dann sind sie sehr bemüht, einem weiterzuhelfen. Es sind gute Leute. Sie tun ihr Bestes. Aber ich gehöre nicht zu euch. Und ich will es auch gar nicht. Ihr Weißen seid nicht meine Freunde, Jasmin.«
Ich schluckte.
»Verstehst du?« Seine Stimme wurde eindringlicher. »Ich habe gesehen, wie sich Weiße und Indios ineinander verliebt haben. Wenn ein weißes Mädchen einen Indio liebt, dann wird es irgendwann von den eigenen Leuten verachtet. Was kann sie schon an so einem finden? Ist er so gut im Bett? Denn was hat er ihr denn anderes zu bieten? Machismo, Armut, Brutalität. Und umgekehrt, wenn sich ein Weißer eine Indígena nimmt, dann ... nun ja ... Er wird sie verlassen, wenn er einen Posten in einer Bank oder einem Konzern bekommt, denn dann braucht er eine Dame, mit der er sich zeigen kann, eine Frau mit Bildung und Umgangsformen, eine Mutter für seine Kinder, die später einmal nicht wegen ihres indigenen Aussehens Nachteile erfahren sollen. Es geht nie lange gut. Es geht nicht.«
»Aber wir leben im 21. Jahrhundert, Damián.«
»Du vielleicht, ich nicht. Schau dich um. Wir leben, wie wir gelebt haben, als die spanischen Eroberer kamen, um uns auszurauben, abzuschlachten und zu versklaven.«
»Aber du nicht!«, widersprach ich. »Du hast mehr vor. Du willst etwas tun für deine Leute, du willst eine Universität gründen.«
Damián lachte bitter auf. »Würdest du dich für mich interessieren, wenn ich dich nicht auf Englisch angesprochen hätte, wenn ich nicht auf dem Diplomatenball im Smoking erschienen wäre, wenn meine Tante nicht von mir behaupten würde, ich würde einmal der Präsident von Kolumbien werden?«
Mir lag eine schnelle Antwort auf der Zunge und sie lautete: »Ja, auch dann.« Aber es wäre nicht die Wahrheit gewesen. Die Wahrheit war eine andere.
»Nein«, sagte ich, und ich wunderte mich selbst, wie selbstverständlich und umstandslos mir die Worte kamen. »Ich habe mich ja nicht in irgendeinen Indio verliebt. Ich ... ich habe mich in dich verliebt, Damián! In dich! Und frag mich nicht, warum. Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass mir deine Art zu reden und zu denken gefällt, sogar, dass du mich zurückweist, deine Reserviertheit, deine ...« Ich musste unwillkürlich lächeln. »Deine Angst, Damián.«
Jetzt schluckte er.
»Ich habe auch Angst«, fuhr ich fort. »Ich habe gestern den ganzen Tag lang Angst gehabt. Vor dem, was mit mir passiert, vor meinen Wünschen und Hoffnungen, vor meiner Enttäuschung, ich habe um dich Angst gehabt und ... und vor dir. Doch dann ...«
»Jasmin!«, unterbrach er mich hastig. Und seine Stimme war leise, drängend und sanft. »Süße, kluge Jasmin, hör auf! Bitte. Du ahnst nicht, wem du dein Vertrauen schenkst. Du hattest völlig recht, vor mir Angst zu haben. Du musst vor mir Angst haben, Jasmin. Das wollte ich dir schon lange erklären. Aber ... Himmel, wie soll ich das in deine hellen blauen Augen hinein sagen? Wie kann ich das?«
Mir war, als hätte eine Wolke die Sonne verdunkelt. Böse Kälte fiel über mich herein und rann mir in die Glieder. Damián hatte mich längst losgelassen, jetzt trat er einen Schritt zurück. Da stand er vor mir und hob die Hände.
»Hast du dich denn noch nicht gefragt, wie viel Blut an meinen Händen klebt?«, fragte er fast tonlos. »Wie oft ich getötet habe? Und noch töten werde, weil die Umstände es unumgänglich machen? Oder auch nur, weil es notwendig erscheint im Kampf um Gerechtigkeit. In meinem Kampf gegen euch, die Weißen! Einen Kampf, den wir wahrscheinlich verlieren werden und ich persönlich sowieso. Bevor ich Präsident des Landes Kolumbien werden könnte, wird man mich ermordet haben, Jasmin. Alle Politiker, die für die Rechte der Indígenas eingetreten sind und Chancen hatten, ins Parlament zu kommen, wurden bisher ermordet. Die Brutalität macht brutal, verstehst du?«
Ich verstand es durchaus, dennoch konnte ich nur die eine Frage herausbringen: »Hast du die fünf Männer von Antonios Bande getötet, vorgestern Nacht?«
Damián stutzte kurz. Für einen angstvollen Moment hatte ich den Eindruck, er werde mir nicht die Wahrheit sagen. Er werde mir eine Notlüge auftischen, aber nicht eine, die mich beschwichtigen sollte, sondern eine, die mich dazu bringen würde, mich endgültig geschockt von ihm abzuwenden. Aber er tat es nicht.
»Nein«, antwortete er, und es klang plötzlich müde. »Das war mein
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