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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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welches mit mir? Er zerstörte mein Glück, mein Leben und wollte, dass ich mir Gedanken über seine Füße machte? Sollte er sie sich doch blutig laufen!
    Nach dem Essen begab sich Leandro vors Haus. Durch das kleine Fenster, dessen Scheibe einen Sprung hatte und das wohl seit seinem Einbau nicht mehr geputzt worden war, sah ich, dass er sich eingehend mit Damián unterhielt. Damiáns Gesicht konnte ich nicht sehen, er stand mit dem Rücken zu mir, aber Leandro nickte mehrmals zufrieden. Schließlich klopfte er Damián freundschaftlich auf die Schulter und nahm sein Satellitenhandy, um zu telefonieren. Währenddessen überprüfte mein Vater bei Clara Blutdruck und Puls und gab ihr irgendwelche Medikamente.
    Immerhin hatte es aufgehört zu regnen, als wir unsere Pferde wieder bestiegen. Vielleicht hatte Leandro Damián erzählt, dass meinem Vater die Füße wehtaten, jedenfalls überließ er Papa das Pferd, auf dem bisher Clara geritten war, setzte Clara auf sein Pferd und ging nebenher. Ich sah, wie sie sich unterhielten. Clara schüttelte mehrmals heftig den Kopf.
    Leandro lenkte sein Pferd neben das von meinem Vater und erläuterte uns, sich immer wieder zu Elena und mir umdrehend, dass Damián ihm gesagt habe, dass wir in wenigen Stunden in einem Ort namens Yat Wala ankommen würden. Der liege an einem See und biete Platz für die Landung eines Hubschraubers. Wenn das Wetter es zulasse, könne uns der Hubschrauber noch heute holen, und heute Abend seien wir dann in der Mine bei Inza und schliefen im Hotel.
    »Hoffentlich!«, stieß Elena so inbrünstig hervor, dass ich lachen musste. Auch sie lachte und gestand: »Bergtouren mit Camping sind nichts für mich, ehrlich gesagt. Ich möchte morgens duschen.«
    Ich gebe zu, dass auch ich das Ende der Reise herbeisehnte. Am liebsten hätte ich den Tag verflucht, an dem wir sie angetreten hatten, aber es gelang mir beim besten Willen und trotz meines Zorns nicht, auch den geheimnisvollen Moment zu verfluchen, wo Damián und ich uns im Lichtfleck des Smaragdsees begegnet und im Kuss und einer Umarmung auf seinen Grund gesunken waren. Hätten wir nur für immer versinken können. Es war eben doch etwas zwischen uns, das mächtiger war als alles andere. Er hatte es mir mit seinem Kuss gesagt und mit den Fingern seiner Hand, die sich immer wieder in meine Finger geflochten hatten.
    Ich hatte seine wilde Sehnsucht gespürt! Es konnte keine Täuschung sein. Worte konnten lügen, Gesten und Mienenspiel nicht. Da war ein großes und tiefes Gefühl zwischen uns. Auf Gedeih und Verderb, für immer und ewig. Warum nur wollte er das nicht zulassen? Fehlte es ihm an Mut, es zu versuchen? Ich hatte ihn doch auch. Und brauchte ich nicht eigentlich mindestens doppelt so viel Mut wie er? Ich gab meine Heimat auf, mein Land, meine Eltern, alles! Er musste gar nichts aufgeben!
    Ja, wenn ich gewünscht hätte, dass er mit mir in Deutschland lebte! Hatte ich aber nicht. Fürchtete er, dass ich es eines Tages tun würde?
    Es war ein fruchtloses Grübeln. Und bei dieser langsamen Art der Fortbewegung hatte man verdammt viel Zeit fürs sinnlose Kreiseln der Gedanken. Stundenlang nur grüner Wald, Berggipfel, Wolken, das Spiel des Nebels. Eine feuchte kalte grüne Hölle war das! Ich hasste es. Zu gern wäre ich aus der Haut gefahren und hätte mich verflüchtigt. Das hätten sie dann alle davon gehabt. Wenn ich Damián nicht lieben durfte, wozu sollte ich dann leben?
    Das Geknatter eines Hubschraubers, das in den Bergen widerhallte, riss mich aus den finsteren Grübeleien und die anderen aus ihrer Lethargie. Elena jubelte. Plötzlich öffnete sich der Dschungel und ein grünes Tal breitete sich vor uns aus. Mitten in ihm glitzerte ein blauer See, an dem ein überraschend großes Haus stand, aus Stein gemauert.
    »Yat Wala, das heißt Großes Haus«, erklärte Leandro und blickte auf seine Uhr. »Und da steht der Hubschrauber auch schon.«
    Der schwarze Helikopter wirkte wie ein Insekt, das nicht hierhergehörte. Kinder hatten sich um ihn versammelt, Alte und Frauen starrten aus gebührender Entfernung das Gerät und die vier Bodyguards von Leandro an, schwarze Dämonen mit Sonnenbrillen, Gewehren über der Schulter, Munitionsgürteln und den gelben Schleifchen ihres Schutzengels auf der Brust.
    Würde Damián mit uns fliegen?, fragte ich mich. Wohl nicht. Warum sollte er? Es musste außerdem jemand die Pferde zu ihrem Besitzer zurückbringen. Die Erkenntnis brannte wie Feuer in meinen

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