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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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bei Regen sahen kaum anders aus, grau und verhangen.
    Elena hatte sich gleich zu Beginn des Ritts bei mir erkundigt, was denn vorgefallen sei. Dann hatte sie sich entschuldigt. Es sei vermutlich ihre Schuld, hatte sie erklärt, sie habe, als Damián und ich überhaupt nicht wiederkamen und Leandro und mein Vater sich ernsthaft Sorgen zu machen begannen, sie beruhigen wollen und gesagt, sie glaube nicht, dass er mich entführt habe, jedenfalls nicht so, sie glaube eher, dass wir ausgebüxt seien. Als die Väter nachfragten, habe sie – nur zu meinem Schutz und zur Beruhigung der Lage – erklärt, sie glaube, Damián und ich seien ziemlich ineinander verknallt. Daraufhin sei mein Vater erst richtig sauer gewesen und wie ein Irrer losgerannt, um uns zu suchen. »Es tut mir leid«, sagte sie.
    »Muss es nicht. Meine Eltern wissen eh, dass ich Damián liebe. Vermutlich hat meine Mutter meinem Vater gestern Abend am Telefon noch einmal eingeschärft, dass er aufpassen soll.«
    »Du liebst ihn?«, hatte Elena fast geschrien und sich dann den Mund zugehalten. »Dann habe ich also recht! Warum machst du so ein Geheimnis daraus? Wir sind doch Freundinnen. Erzähl mal! War da wirklich nichts? Hat er dir wirklich nur die Bärin gezeigt? Kein Kuss? Nicht mal das? Mir kannst du es doch sagen.«
    Ich hatte nur den Kopf geschüttelt. Daraufhin hatte Elena mich ernst angeschaut. »Was ist wirklich los, Jasmin?«
    »Er liebt mich nicht. Das ist los.«
    »Ach komm! Natürlich ist er total verknallt in dich! So wie er dich anschaut!«
    »Verknallt ist was anderes als Liebe, Elena. Zumindest für mich. Kann schon sein, dass er mich ganz interessant findet mit meinen blauen Augen und so. Aber für ihn bin ich noch ein Kind. Jedenfalls will er nichts anfangen mit mir. Ich passe nicht in sein Konzept.«
    Elena hatte zu lachen versucht. »Seit wann passt Liebe in irgendein Konzept?«
    »Eben«, hatte ich erklärt. »Er liebt mich nicht. Punkt, fertig. Reden wir nicht mehr drüber.«
    Er hätte um mich kämpfen müssen! Aber das sagte ich nicht.
    Stundenlang ging es durch den Regen. Fahrspuren zeigten, dass hier auch Autos unterwegs waren. Ab und zu passierten wir eine Ansiedlung. Kinder standen am Wegrand. Damián hielt jedesmal sein Pferd an und wechselte mit jedem Menschen ein paar Worte. Einmal kam uns ein Fahrzeug entgegen und wir mussten mit den Pferden von der Straße runter ins Unterholz.
    In einer kleinen Ortschaft, die aus der matschigen Straße und ein paar wüst zusammengebretterten Hütten bestand und von einer Art Autowerkstatt beherrscht wurde, vor der sich kaputte Auspuffe und rostiger Schrott häuften, stiegen wir ab und bekamen in einem Wirtshaus, in dem zwei Tische standen, ein Mittagessen. Es bestand hauptsächlich aus Morcillas. Das waren dicke Würste aus Reis, Erbsen und Rinderblut. Dazu gab es Chicharrones, kross gebratene Schwarte vom Schwein. Grauenvoll! Elena beschränkte sich auf Arepas, die Maisbrote, und Tinto, den schwarzen Kaffee, in den sie Unmengen Panela schüttete, den braunen Zucker aus Zuckerrohrsaft. Damián hatte sich nicht mit uns zusammen hingesetzt und ließ sich die ganze Mahlzeit hindurch auch nicht blicken. Ich wusste nicht, auf wen ich wütender war, auf meinen Vater, der uns runtergeputzt hatte wie zwei Kinder, oder auf Damián, weil er sofort klein beigegeben und mich fallen gelassen hatte.
    Besser du merkst jetzt, was er für ein Feigling ist, als später, wenn es wirklich darauf ankommt, sagte ich mir. Das zumindest hätte Elena mir in ihrer Schulweisheit erklärt, und Vanessa auch. Und meine Mutter vermutlich auch. Alle hätten das gesagt. In allen Filmen und Büchern wurde so etwas fortwährend gesagt. Das tut zwar weh, aber besser jetzt als später.
    Meinem Vater tat es natürlich jetzt leid. Er versuchte immer wieder, mich in eine Unterhaltung einzubeziehen. Aber das hatte ich ihm wenigstens voraus: Ich konnte besser und länger beleidigt sein als er. Er würde sich bei mir entschuldigen müssen. Mehr als »Ja« oder »Nein, danke« bekam er so lange von mir nicht zu hören.
    Ich reagierte auch nicht, als er sich die Fußgelenke rieb und erklärte, man sei ja nichts mehr gewöhnt. Als junger Mann habe er tagelang wandern können, ohne dass ihm die Füße wehgetan hätten.
    Leandro bot ihm sein Pferd an, aber er lehnte ab. Er hatte ja nur mich zu Mitgefühl bewegen wollen. Scheißspiele, die die Eltern mit ihren Kindern spielten. Immer sollten wir Mitleid mit ihnen haben. Aber hatte er

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