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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Arzt in Bogotá bringen wollt. Damit ist er nicht einverstanden.«
    Damián antwortete etwas in derselben Sprache.
    »Er sagt, es sei meine Entscheidung«, übersetzte Clara, wohl weniger, um uns zu unterrichten, als vielmehr, um ihre Angst mit uns zu teilen.
    Tano war nicht abgestiegen, er redete heftig vom Pferd herab. Damián stand vor ihm, gänzlich unbewaffnet, und antwortete umso ruhiger, je mehr sein Onkel sich aufregte. Das Regencape hatte er über die Schultern zurückgeworfen. Darunter waren sein grünliches T-Shirt und die zerschlissene Hose zu sehen, die nur von einem Gürtel auf den schmalen Hüften gehalten wurde. Seine Bewegungen waren beherrscht und ruhig, fast gelassen.
    »Und jetzt sagt Tano«, hauchte Clara, »dass wir ihm gehorchen müssen. Er sei das Familienoberhaupt. Wir hätten seine Abwesenheit ausgenutzt und ihn hintergangen. Das könne er nicht dulden. Über Damián könne er nicht bestimmen, aber mich werde er jetzt mit zurücknehmen, ob ich wolle oder nicht. Und niemand, auch Damián nicht, werde ihn daran hindern können.«
    Auf einmal richtete Tano den Gewehrlauf auf Damián, genau auf sein Herz. Die Männer auf den Pferden hinter ihm entsicherten ihre Flinten. Auf Tanos Gesicht lag das hasserfüllte Grinsen des Siegers.
    Damián trat einen Schritt zurück, bückte sich und hob einen halbwegs geraden Stock von gut einem Meter Länge vom Boden auf.
    Man hätte lachen können, wäre unsere Lage nicht so aussichtslos gewesen. Da stand der einfache junge Mann mit einem Prügel in der Hand einem Dutzend Reitern mit Gewehren gegenüber, die vor allem nervös waren wegen der vier Bodyguards am Hubschrauber mit Pumpguns und Maschinenpistolen. Was für ein Wahnsinn! In Kolumbien knallten schnell die Gewehre und man starb im Dutzend. Solche Szenen waren Alltag. Und auf einmal war ich mittendrin. Ich hätte Todesangst haben sollen. Hatte ich aber nicht. Solange Damián bei mir war ... Er redete ruhig, beinahe freundlich.
    »Was sagt er?«, fragte ich Clara.
    »Damián sagt, dass die Nasas ein friedliebendes Volk seien und dass sie einst, nur mit ihren traditionellen Stöcken bewaffnet, zwischen die Armeen des Medellín-Kartells und der FARC getreten seien und verhindert hätten, dass sie ihre Kriege auf unserem Boden austragen. Und deshalb werde nicht geschossen im Cauca. Er sagt, dass keiner dieser fremden Soldaten auf einen Sohn der Nasas geschossen habe und dass auch Tano das nicht tun werde. Und er sagt, dass Tante Maria ihn nicht mehr niedersitzen lassen wird an ihrem Herd und ihm kein Essen mehr kochen wird, wenn Tano nicht mit diesem Theater aufhört und uns nicht in Frieden gehen lässt.«
    Diese Drohung schien die stärkste zu sein, denn Tano senkte das Gewehr und stieg vom Pferd.
    Clara seufzte und lächelte. »Ja, am Herd haben die Frauen das Sagen.«
    Tano und Damián sprachen jetzt zu leise, als dass wir sie verstehen konnten, sosehr Clara auch lauschte.
    Nach einer Weile wandte sich Damián zu den vier Bodyguards um, die den Hubschrauber bewachten. Leandro und Elena saßen bereits im Helikopter.
    »Könnt auch ihr die Waffen senken?«, rief er ihnen auf Spanisch zu.
    Die Männer rührten sich nicht.
    »Sie gehorchen nur Leandro«, bemerkte mein Vater leise.
    »Verdammt, dann soll er den Befehl geben!«, fluchte ich und begann zu winken. Mein Vater machte ebenfalls Zeichen. Aber nichts rührte sich.
    Damián marschierte los, direkt auf die vier Schwarzgekleideten zu. Sie standen breitbeinig, die Augen hinter den Sonnenbrillen versteckt. Die gelben Schleifchen ihres Schutzengels leuchteten auf ihren Jacken.
    Gleichzeitig kam Tano auf uns zu, auf Clara, mich und meinen Vater. Clara stieß einen angstvollen Ton hervor und klammerte sich an mich. Mein Vater stellte sich halb vor uns, so fest, wie es sein verletzter Knöchel zuließ.
    Das Gewehr lässig über die Schulter gelegt, bog Claras Onkel Tano noch mal ab, schlenderte zu unseren Pferden, ergriff das Packpferd am Zügel und kam damit zu uns. Seine schmalen kohlschwarzen Augen waren die harte Variante von Damiáns Augen. Sein Gesicht war von Höhensonne und Wind und Wetter gegerbt. Um seinen Mund lag ein humorloser Zug. Seine linke Backe war dick von Kokablättern. Sein Lächeln hätte einen Sommerregen auf der Stelle zu Hagel gefrieren lassen. Gegen diesen Mann war Don Antonio, der Major mit der Narbe im Gesicht und Anführer einer Truppe von unerfahrenen Jugendlichen, ein harmloser und liebenswerter Philosoph gewesen. Ein kleiner

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