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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Ritual leitete, Emma erlaubt, die Frauen des Clans zu begleiten. Carl war davon zwar nicht begeistert, Emma dafür umso mehr. Sie würde mit an den heiligen Platz wandern – was für eine einmalige Gelegenheit! Sie wäre zwar nicht beim gesamten Ritual dabei, das war für eine Uneingeweihte undenkbar, aber sie würde von ferne dem Gesang lauschen können. Und wer wusste schon, welche aufregenden Erlebnisse sie sonst noch erwarteten?
    Gunur hatte Carl ruppig, aber aufrichtig erklärt, dass niemand Emma verletzen würde; und da Birwain dies ebenfalls versichert hatte und Emma sowieso nicht von ihrem Vorhaben abrücken wollte, ließ Carl sie zähneknirschend gewähren. Die Hände in den Hosentaschen sah er ihr mit angespanntem Gesichtsausdruck nach, als sie mit den schwarzen Frauen das Lager verließ und in den nächtlichen Regenwald eintauchte.
    Ununterbrochen singend wanderten sie zum heiligen Platz des Clans. Emma folgte den Frauen stumm, da sie keines der uralten Lieder kannte; ohnehin klopfte ihr das Herz bis zum Hals, so dass ihr das Singen schwergefallen wäre.
    Vor vielen Monaten war Emma diesen Weg schon einmal gegangen. Damals hatte Birwain ihr auf wundersame Weise geholfen, mit ihrer Vergangenheit abzuschließen. Das Erlebnis, das sie auf der heiligen Lichtung gehabt hatte, stand Emma so deutlich vor Augen, als sei es erst gestern gewesen: In jener Nacht hatte sie fest daran geglaubt, die Marmbeja hätten sie auf einen Seelenflug mitgenommen.
    Dabei hatte sich, davon war Emma mittlerweile überzeugt, lediglich eine Lücke in ihrer Erinnerung geschlossen. Wie sehr eine Nacht im dunklen Regenwald den Verstand doch verwirren konnte!, dachte Emma nervös. Als sie stolperte, schrie sie vor Schreck auf.
    Alle drehten sich zu ihr um.
    »Entschuldigung«, murmelte sie betreten. »Ist nichts passiert.«
    Mit rotem Kopf setzte sie ihren Weg fort. Warum, fragte sie sich, stolperten die Schwarzen eigentlich nie? Und was noch viel wichtiger war: Warum hatte sie das bizarre Gefühl, dass bei den steinernen Schildkröten auch heute wieder etwas auf sie wartete, das ihr Leben unwiderruflich verändern würde?
    Ich werde nicht dabei sein, beruhigte sie sich. Nur von ferne zuhören. Interpretieren, analysieren und später aufschreiben, was ich mir zusammengereimt habe. Alles vollkommen harmlos.
    Bloß dass es sich überhaupt nicht harmlos anfühlte.
    Nach einer Weile teilten sich die Bäume, und sie trat mit den Frauen auf die heilige Lichtung. Im Mondlicht erblickte Emma sie sofort: die großen, wie Schildkröten geformten Steine, die in der Mitte der Lichtung lagen, so als habe ein Riese aus ihnen ein Dreieck geformt.
    Beklommen sah Emma die grauen Steintiere an.
    Hier hatte sie damals das Eukalyptusfeuer erlebt.
    Und hier würde heute das geheime Ritual stattfinden – an dem sie zwar nicht teilnahm, das aber irgendetwas mit ihr zu tun hatte. Plötzlich wünschte sie sehnlichst, dass dem nicht so wäre.
    »Es ist Zeit, dass du dich zurückziehst«, sagte Purlimil neben ihr feierlich.
    Fast war Emma erleichtert. »In Ordnung. Wohin soll ich mich zurückziehen?«
    »Ich führe dich. Komm mit, wir müssen ein Stück gehen.«
    Emma starrte in den nachtschwarzen Wald, und ihr wurde bewusst, dass sie dort draußen allein sein würde.
    Vielleicht hätte sie doch auf Carl hören sollen.
    Emma fror.
    »Ich bin Forscherin, und da muss man eben Opfer bringen. Alles kein Problem. Was ist denn schon dabei?«
    Ihr eigenes Gemurmel, mit dem sie sich Mut zusprechen wollte, klang fremd in ihren Ohren. Sie beschloss, lieber wieder zu schweigen. Verflixt, das war aber auch gruselig, so ganz allein im Dunkeln! Wie lange hockte sie hier eigentlich schon? Stunden, ganz gewiss. Es war duster, um sie herum raschelte es unheimlich, und es war verdammt kalt – nicht gerade die besten Voraussetzungen dafür, eine angenehme Nacht zu verbringen.
    Vom Ritual der Schwarzen hörte Emma entgegen ihren Erwartungen nur wenig: Gesang, fern wie das Murmeln eines Baches, immer wieder übertönt von den Schreien und den Rufen nachtaktiver Tiere, von einem beunruhigenden Knacksen oder vom Säuseln des kühlen Windes in den Blättern über ihr. Worte verstand Emma gar keine, nicht einmal zusammenhängende Melodien vermochte sie zu erkennen.
    Schließlich verstummte der Gesang für eine Weile ganz. Emma durchzuckte der Gedanke, dass die Schwarzen den Platz vielleicht einfach verlassen hatten. Aber würden die Frauen es wirklich fertigbringen, sie, Emma,

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