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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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reißend und tödlich, er ertränkt uns alle, bis auf den letzten Mann.«
    Emma ließ seine Drohrede angespannt über sich ergehen. Bald wurde ihr klar, dass Dayindi nichts gegen das kleine Mädchen an sich hatte. Ihm ging es um das Prinzip.
    Neu waren seine Argumente und Drohungen den Schwarzen wohl nicht, aber Dayindi wusste sie furchterregend zu verpacken: In den schrecklichsten Farben malte er dem Clan aus, welche Gräuel sie alle zu erwarten hätten, falls man Emma ihren Willen ließe.
    Emmas Nervosität wich zunehmendem Ärger. Je länger sie Dayindi zuhören musste, desto stärker fühlte sie sich an ihren alten Pfarrer in Stuttgart erinnert. Dieser hatte seinen Schäfchen von der Kanzel herab in schöner Regelmäßigkeit die übelsten Höllenqualen für ihre Sünden versprochen. Schon damals hatte Emma es gehasst, wenn jemand so plump versuchte, anderen Menschen Angst zu machen. Aber bei vielen seiner Schäfchen war der Pfarrer damals sehr erfolgreich gewesen.
    Ob die Schwarzen ebenso leicht einzuschüchtern waren wie die schwäbischen Gläubigen? Dann würde es für das Baby schlecht aussehen. Unwillkürlich strich Emma dem kleinen Mädchen in ihren Armen über das feine, schwarze Haar.
    Dir wird nichts geschehen, niemals! Ich habe es Purlimil versprochen, und jetzt verspreche ich es dir, Baby.
    In dem langen Schweigen, das auf Dayindis Rede folgte, kroch die Angst wieder in Emma hoch. Sie rückte näher an Carl heran, und er legte seinen Arm um sie. Zumindest er war auf ihrer Seite, auch wenn sie ihn mit ihrer Entscheidung überrumpelt hatte. Emma war ihm dankbar dafür.
    Endlich ergriff Birwain das Wort. Anders als Dayindi blieb der Schamane im Schneidersitz auf dem Boden hocken, und seine Stimme klang ruhig und gelassen. Der Inhalt seiner Worte allerdings ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
    »Die Geister«, krächzte er in die gespannte Stille hinein, »haben Emma ausgewählt, ihr Werkzeug zu sein. Sie hat eine Aufgabe. Deshalb muss sie bei uns bleiben, bis diese Aufgabe erfüllt ist.«
    »Niemand ist hier ein Werkzeug!«, murmelte Carl empört.
    »Wenn wir das Baby aber töten, wird Emma uns verlassen, ohne ihre Aufgabe erfüllt zu haben«, fuhr Birwain langsam fort. »Also muss das Baby am Leben bleiben. So einfach ist das.«
    Aller Augen richteten sich auf Emma.
    Carl zog sie noch näher zu sich heran, als wollte er sie schon jetzt vor den Ansprüchen von Geistern, an die er gar nicht glaubte, beschützen.
    Emmas Gedanken überschlugen sich. Ausgewählt? Werkzeug? Verdammt, sie hatte dem Schamanen doch deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht bereit war, den Todesengel zu spielen! Sie atmete tief durch und bemühte sich um einen klaren Kopf. Eigentlich war es ja gar nicht wichtig, was die Schwarzen glaubten. Wichtig war nur, dass der alte Schamane – der ebenso hoch geachtet wurde wie Dayindi und im Gegensatz zu diesem auch noch geliebt – sich für das Leben des Babys einsetzte.
    Und in einem Punkt hat er recht, schoss es ihr durch den Kopf, wenn das Baby getötet wird, dann kann ich nicht hierbleiben, nicht im Regenwald; nicht bei diesem Clan, der mein Kind auf dem Gewissen hätte, ich würde es nicht ertragen.
    Yileen stand auf. Laut sagte er: »Meine Tochter soll leben!«
    Auch Gunur erhob sich. »Ihr wisst, dass ich derselben Meinung bin.«
    »Ich ebenfalls«, sagte Nowalingu schüchtern und schenkte Emma ein Lächeln.
    Und dann schloss sich ihnen ein Eingeborener nach dem anderen an. Manch einer sagte ein paar wohlüberlegte Worte, andere nickten nur, doch das Ergebnis war eindeutig: Alle außer Dayindi stimmten für das Leben.
    »Damit ist es entschieden«, sagte Gunur aufatmend und wandte sich mit feierlicher Miene an Emma. »Wir alle werden dir dabei helfen, eine gute Mutter zu sein. Wir werden dir beibringen, was du wissen musst, und das Leben deines Babys soll nie wieder in Frage gestellt werden.«
    Bei diesen Worten hätte Emma am liebsten vor Freude geschrien, doch auch eine Sturzflut an Tränen war nicht weit, und sie biss sich kräftig auf die Lippen, um nicht vor lauter Erleichterung die Beherrschung zu verlieren.
    Die Schwarzen kannten solche Hemmungen nicht: Ohrenbetäubender Jubel brach aus. Ein paar Frauen sprangen auf, begannen zu singen und zu tanzen, andere Frauen und Männer schlossen sich ihnen an, und im Nu war aus der Versammlung ein Fest geworden. Nun vergoss Emma doch einige Tränen, aber sie lächelte dabei, und während sie die Schwarzen dabei

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