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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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beobachtete, wie sie mit überschäumender Freude feierten, wiegte sie ihr Baby in ihren Armen.
    Heiße Dankbarkeit durchflutete sie. Jeder einzelne Schwarze hatte sich gegen die Angst und für das Leben entschieden, und Emma wusste, dass das den furchtsameren Naturen unter ihnen nicht leichtgefallen sein konnte. Sie fragte sich beschämt, wie sie die Schwarzen nur je als Barbaren hatte bezeichnen können. Zwar unterwarf sich der Clan notgedrungen den Gesetzen, die sich über Jahrtausende als überlebensfördernd herausgestellt hatten. Das hieß aber noch lange nicht, dachte Emma reuevoll, dass die Eingeborenen nicht ebenso viel Mitleid und Menschenliebe empfanden wie sie selbst – sie, Carl und der Rest der weißen Christenheit.
    Unversehens fiel ihr Oskar ein. Dem konnte man wirklich viel unterstellen; christliche Menschenliebe gehörte nicht dazu.
    Oskar, schon wieder Oskar.
    Gedankenverloren streichelte Emma ihr Baby, das sich von dem Tohuwabohu nicht beeindrucken ließ und friedlich schlief. Emma wollte jetzt nicht an Oskar denken, sondern dieses wunderbare Fest genießen. Das Heute bestand aus niemandem als Emma, ihrem Ehemann und ihrem neugeborenen, schwarzen Baby.
    Aber du spürst seinen Schatten, nicht wahr? Und die Nacht riecht nach Gefahr und Tod  …
    Plötzlich war Carls Mund an ihrem Ohr. »Herzlichen Glückwunsch, Amazone! Jetzt sind wir Eltern«, flüsterte er, und die Beklemmung, die sie so plötzlich überfallen hatte, verschwand. Als Carl ihr vor aller Augen einen Kuss auf den Mund drückte, vergaß sie Oskar, wurde puterrot über die anzüglichen Bemerkungen ihrer Freunde, die ihr nach diesem Kuss eine lustvolle Nacht prophezeiten, und stimmte schließlich verlegen in deren Lachen mit ein.
    Carl zog Emma auf die Füße. Er lächelte auf sie hinunter, und wieder einmal fiel ihr auf, wie unglaublich gut er aussah, mit seinen verwegenen schwarzen Locken, den blauen Augen und den markanten Gesichtszügen. Als er seine Hände auf ihre Seiten legte, tanzte sie mit ihm im Feuerschein, das Baby auf dem Arm, und war eine selbstvergessene Stunde lang glücklich.
    Später brachte sie das Baby zu Purlimil an die Geburtsstätte, damit diese es stillen konnte. Erst als Emma zum großen Feuer zurückkehrte und sah, dass Carl auf seine Taschenuhr blickte, fiel ihr wieder ein, dass es heute noch einen anderen Grund zu feiern gab.
    »Herrje!«, rief sie aufgeregt aus. »Carl, heute ist ja Silvester!«
    Er zog sie in seine Arme. »Ganz genau. Und zwar in wenigen Minuten! Fast hätten wir’s verpasst.«
    »Da haben wir ja gerade noch mal Glück gehabt.« Sie lächelte, und in ihrem Kopf formte sich ein Gedanke. »Das Baby ist für die nächste halbe Stunde bei Purlimil. Wollen wir die freie Zeit nicht nutzen, um uns ein gutes neues Jahr zu wünschen?«
    Er zog die Augenbrauen hoch. »Eine halbe Stunde lang?«
    Sie nickte.
    »Hier?«
    »Och …«
    Es brauchte keine weiteren Worte: Sie wünschten sich das gute neue Jahr im Zelt, allein und zunehmend atemlos.

15
    D ayindi kochte vor Wut.
    Die Menschen, die er für seine Freunde gehalten hatte – vor allem, seit seine Eltern nicht mehr lebten –, feierten in dummer blinder Freude ihren eigenen Untergang. Während er, Dayindi, am Rande des Festes in der Dunkelheit saß und Gift und Galle spuckte, weil sie sich nicht hatten überzeugen lassen.
    Die Ahnen würden sich rächen. Verderben würde über sie alle kommen, Tod und Elend, und das alles nur, weil diese verfluchten Forscher ihre Welt in den Regenwald trugen.
    Er hasste sie. Er hasste sie glühend, so wie er alle Weißen hasste, seit seine Eltern ermordet worden waren. Ein Unfall, sagten die anderen, aber das sagten sie nur, weil sie das Entsetzliche nicht gesehen hatten. Dayindi wusste es besser; er war dabei gewesen.
    Und nun führten Emma und Carl das Werk der Zerstörung weiter, auf eine tückische, hinterlistige Art, die nicht einmal der Schamane durchschaute. Vielleicht hatten sie Birwain ja verhext. Ein verhexter Schamane! Dayindi lachte bitter auf. Die Vorstellung war ebenso beängstigend wie komisch.
    Ein Gedanke stieg in ihm auf, dunkel und verführerisch.
    Die Marmbeja würden ihm nicht helfen, die standen immer auf der Seite des Schamanen. Aber es gab andere Geister, die weitaus williger waren.
    Und womöglich mächtiger.

16
    JANUAR 1860
    E mma erwachte davon, dass etwas Nasses ihr Nachthemd durchweichte.
    »Oh nein. Sie ist ausgelaufen!«
    Verschlafen hob Carl neben ihr den Kopf. Als er die

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