Der Ruf des Kookaburra
doch imstande war, Emma das Leben gehörig schwer zu machen.
Weil die Schwarzen ihre Babys völlig anders behandelten, als Dr. von Ammon es in seiner Publikation anempfahl.
Da war zum Beispiel das Stillen, dachte Emma missmutig, während sie der schreienden Belle die Windel umlegte. Purlimil bestand nach wie vor darauf, Belle und Gelar die Brust zu geben, wann immer sie danach verlangten – auch nachts. Da Purlimil inzwischen von der Geburtsstätte in ihre Hütte zurückgekehrt war, war es für Emma theoretisch auch kein Problem, Belle in der Dunkelheit die paar Schritte zu Purlimil zu bringen.
Doch wie konnte sie das guten Gewissens tun, wenn der Leibarzt des Königs dringend dazu riet, »das Kind so zu gewöhnen, daß es vor dem Schlafe der Mutter die Brust nimmt, und daß dann erst wieder gegen den frühen Morgen hin sein Nahrungsbedürfniß befriedigt wird. Einige Mühe verursacht allerdings diese Gewöhnung in der ersten Zeit des Wochenbettes, allein durch Festigkeit erreicht man sie; die junge Mutter braucht nur den Muth zu haben, das Kind schreien zu lassen …«
Als Emma ihrer schwarzen Freundin diese Zeilen vorgelesen hatte, hatte die bloß gelacht. Und in der ersten und einzigen Nacht, in der Emma sich bemüht hatte, gemäß dem Rat des guten Dr. von Ammon hart zu bleiben, hatten Carl und sie stundenlang unter dem Gebrüll des hungrigen Babys gelitten, bis Emma aufgegeben und Belle mit einem Gefühl der Niederlage zu Purlimil getragen hatte. Schlaftrunken hatte sie abgewartet, bis die Kleine sich satt getrunken hatte, und dann ein friedlich schlummerndes Baby ins Zelt zurückgebracht. Das hätten wir auch früher haben können, hatte Emma entnervt gedacht. Zu allem Überfluss hatte Carl, der nun nicht mehr einschlafen konnte, ihr danach im Lampenschein noch ein Stück aus Dr. von Ammons Weisheitsschatz vorgelesen. Emma hatte die klugen Tipps eine Zeitlang ertragen, doch irgendwann hatte sie Carl das Buch aus der Hand gerissen und es in die Zeltecke gefeuert.
Später hatte sie sich zwar für ihre Unbeherrschtheit entschuldigt; Schlaf aber hatte in jener Nacht keiner von ihnen mehr gefunden. Abgesehen von Belle. Und am nächsten Tag hatte Gunur die müde Emma zur Seite genommen und ein ernstes Wort mit ihr gesprochen: Sie wisse ja nicht, wie die Bäuchlein weißer Babys beschaffen seien, aber schwarze Babys bräuchten in kurzen Abständen Milch, ob es nun Tag sei oder Nacht. Damit war zumindest dieses Thema erledigt gewesen.
Doch es gab ja noch etliche andere Ansichten des allwissenden Dr. von Ammon, über die sich trefflich streiten ließ, dachte Emma säuerlich und steckte die Windel fest. So hatte Carl ihr schon mehrmals die Seiten vorgelesen, in denen es um die Unsitte ging, weinende Babys durch Umhertragen zu beruhigen. Die Passage endete mit den mahnenden Worten: »Wie viel schlaflose Nächte bereiten sich Mütter und Wärterinnen durch falsche Gutmütigkeit und durch Versehen im Anfange der Pflege des neugebornen Kindes!«
Da waren sie wieder, die schlaflosen Nächte. Natürlich sehnte Emma sich nicht nach chronischem Schlafmangel, und natürlich wollte sie auch nichts falsch machen bei diesem Kind, das aller Voraussicht nach ihr einziges bleiben würde.
Doch wie konnte sie Belle schreien lassen, wenn ihr Herz sich dabei vor Mitleid zusammenzog? Sollte es wirklich gut für Belle sein, wenn man ihr Trost und Nähe strikt verwehrte?
Die Frauen des Clans jedenfalls waren auch diesmal nicht Dr. von Ammons Meinung. Für sie gab es nichts Normaleres, als ihre Babys und Kleinkinder ständig mit sich herumzuschleppen. Den Kindern schien das nicht zu schaden, musste Emma zugeben, sie wirkten allesamt ausgeglichen und fröhlich. Dennoch hatte Emma lange gezögert, es den Schwarzen gleichzutun: Was, wenn das ständige Tragen ihrer kleinen Belle einen schiefen Rücken bescheren würde, wovor Dr. von Ammon eindringlich warnte? Was, wenn die schädliche Verwöhnung des Säuglings dazu führen würde, dass Belle zu einem unausstehlichen Fratz heranwüchse? Schlussendlich hatte sie sich überzeugen lassen, dass der deutsche Arzt sich irrte. Seitdem verbrachte Belle die meiste Zeit auf Emmas Arm.
Carl war jedoch nicht glücklich darüber, dass seine Frau die Ratschläge des deutschen Doktors in den Wind schlug. Wenn Belle wirklich ihre Tochter sein sollte, dann müsste das Kind auch wie eine Weiße erzogen werden, fand Carl. Wie sollte Belle später außerhalb des Clans zurechtkommen, wenn sie in jeder
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