Der Ruf des Kookaburra
Armen haltend wie das Unterpfand einer besseren Zukunft. Oh ja, ab heute würde alles anders: ein Familienleben ohne ständiges Säuglingsgeschrei würde seinen Anfang nehmen, ohne Streit zwischen ihr und Carl und ohne die permanenten Selbstzweifel.
Sie würden wieder glücklich sein – nicht nur als Paar, sondern endlich auch mit Belle.
Froh ging Emma zurück zu ihrem Zelt. Sie war sich fast sicher, Carl dort vorzufinden. Es war schließlich bald Nacht, wo sollte er sonst sein, wenn nicht zurück in ihrem kleinen Zuhause?
Aber Carl war nicht im Zelt.
Er war auch sonst nirgendwo im Lager.
Er war weg.
Ach was, natürlich war er nicht weg. Dummes Zeug! Wohin sollte er denn gegangen sein? Dennoch begann Emma im Lager herumzufragen, ob irgendjemand wisse, wo ihr Mann sich aufhielte.
Alle schüttelten die Köpfe.
Leise Sorge stieg in Emma auf. Sie überwand sich und fragte jedes einzelne Clanmitglied, sogar Dayindi, ob sie etwas über Carls Verbleib wussten. Doch niemand konnte ihr sagen, wohin Carl gegangen war. Kein einziges Mitglied des Clans hatte Carl gesehen, seit er am frühen Morgen zornig und verletzt in den Regenwald gegangen war.
Später wurden die Schlangen verzehrt.
Belle wurde gestillt.
Die Eingeborenen zogen sich zum Schlafen in ihre Hütten zurück.
Und dann erlosch ein Feuer nach dem anderen, während Emma, das friedliche Baby an sich gedrückt, vor ihrem Zelt saß. Sie starrte in die Schwärze, kämpfte die Furcht in ihrem Herzen nieder und wartete auf Carl.
Sie wartete die ganze Nacht hindurch.
Zwischendurch brachte sie Belle zum Stillen zu Purlimil; danach legte sie das Baby auf seinen Schlafplatz und deckte es warm zu. Sie selbst nahm ihren Wachposten vor dem Zelt wieder ein, in ihr Cape gehüllt und trotz der späten Stunde hellwach.
Einer der Dingos trottete heran und leistete ihr Gesellschaft, und Emma legte ihre Hand auf sein tröstlich warmes Fell. Der Dingo war schon alt, seine Schnauze grau. Er verdrehte den Kopf, um ihr die Finger lecken zu können, und Emma hätte über seine Verrenkungen gelacht, wenn die Furcht in ihrem Herzen nicht mittlerweile zu kalter Angst geworden wäre.
Erst als der neue Morgen graute und sie steif und durchgefroren ins Nichts starrte, gestand Emma es sich ein.
Carl war verschwunden.
TEIL 2
1
C arl! Caaaaarl!«
Ihre Stimme war heiser vom stundenlangen Rufen. Seit Emma bei Sonnenaufgang die Eingeborenen alarmiert hatte, dass Carl nicht zurückgekommen war, streifte sie mit einigen der Männer durch den Regenwald, um ihn zu suchen. Bislang erfolglos.
Emma war nun fast sicher, dass ihrem Mann etwas passiert sein musste. Wenn sie ihn doch nur bald finden würden! Was, wenn jede Sekunde zählte? Wenn er von einer Schlange gebissen worden war, wie damals, als er zum ersten Mal mit Yileen auf die Jagd gegangen war? Was, wenn er sich verletzt hatte und nun irgendwo lag, hilflos und ohnmächtig, so dass er ihr Rufen gar nicht hören konnte?
Was, wenn er tot war?
Nein! Nein, das war unmöglich. Er konnte nicht tot sein. Er war doch so jung und stark, so klug, hatte noch so viele Pläne, stand mitten im Leben. Die Forschung brauchte ihn.
Ich, ich brauche ihn! Lieber Gott im Himmel, tu mir das nicht an!
Verzweiflung und Müdigkeit drohten Emma zu überwältigen, doch sie nahm all ihre Kraft zusammen und schlug sich weiter durchs Gestrüpp.
In diesem Teil des Regenwaldes war sie noch nie gewesen; Lianen, zarte Orchideen und uralte Baumriesen hätten ihn Emma paradiesisch vorkommen lassen, wenn die Sorge um Carl nicht all ihr Denken und Fühlen in Anspruch genommen hätte. Sie roch nicht den schweren Duft der Blumen, hatte keinen Sinn für die samtige Textur des Mooses, das die Stämme gefallener Bäume überzog. Sie sah nur, dass diese Baumstämme mit ihrem enormen Durchmesser ein Hindernis auf ihrem Weg darstellten und dass sie wieder klettern musste, um weiterzukommen. Dass die Kletterei sie wertvolle Sekunden kostete, Sekunden, die das Schlangengift noch umfassender in Carls Blutbahn verteilen würden, Sekunden, die ihn den wilden Tieren auslieferten, Sekunden, die ihn dem Tod näher brachten …
Als ob es jetzt noch auf Sekunden ankäme.
Diese verdammte, mutlose Stimme in ihrem Kopf! Sie wollte sie nicht hören, wollte nicht denken, wollte nichts als weitersuchen, um Carl endlich zu finden. Verbissen kämpfte sie sich über den feuchten Baumstamm, rutschte aus und riss sich im Herunterfallen das Kleid auf. Sie schlug auf dem Boden auf und
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