Der Ruf des Kookaburra
Emma entschieden zu weit. Wegen solch abergläubischer Hirngespinste sollte sie aufhören, ihren Mann zu suchen? Niemals!
Mit vorgerecktem Kinn hielt Emma den Blicken der drei Schwarzen stand. »Das ist absoluter Unsinn«, sagte sie kühl. »Die Strafe sollte mich treffen, nicht Carl.«
»Nun, das tut sie auch, oder?« Dayindi zupfte an dem Knochen in seiner Nasenscheidewand herum. Hinterhältig sagte er: »Deinetwegen ist dein Mann fort. Vielleicht hat er dich verlassen, weil er es nicht mehr mit dir ausgehalten hat. Vielleicht ist er tot. Mit dieser Ungewissheit wirst du von nun an leben müssen. Ist das keine Strafe für dich?«
Heiß kochte die Wut in Emma hoch. »Carl hat mich weder verlassen, noch ist er tot! Hör doch auf, mir das einreden zu wollen, Herrgott!«
»Dein Herrgott, Weib, befindet sich nicht in dieser Hütte«, zischte Dayindi. »Nur unsere Geister, und die haben endlich gehandelt. Ob es dir nun gefällt oder nicht.«
Gunur neben ihm schnappte hörbar nach Luft. Ihre Augen weiteten sich in plötzlichem Verstehen, als sie rief: »Natürlich, das Ritual!«
Emmas Blick flog zu der Alten hinüber.
»Die Voraussage der Geister!«, sprudelte es aus Gunur heraus. »Sie hatten dich auserwählt, den Tod zu bringen, und nun wissen wir endlich, wem du den Tod bringen solltest: Carl! Mit eurem Streit hast du ihn vertrieben, deshalb hatte er einen Unfall, und so hat er den Tod gefunden!«
Alle Farbe wich aus Emmas Gesicht.
Nein, dachte sie, nein, nein, nein! Das würde sie sich nicht auch noch einreden lassen.
»Carl hat gesagt, dass ich nichts auf eure abergläubischen Voraussagen geben soll«, schleuderte sie den Ältesten entgegen. »Er war sich sicher, dass nichts davon real ist. Dass wir eine Forschungsnotiz machen und das Ganze vergessen sollten und …«
»Dann«, unterbrach Dayindi sie spöttisch, »wurde dein Mann wohl mittlerweile eines Besseren belehrt.«
Fassungslos schaute Emma in das selbstgerechte Gesicht des law man , und plötzlich stieg ein solch glühender, mörderischer Hass in ihr auf, dass sie aufsprang und fluchtartig die Hütte verließ.
Sie rannte durch das Lager, fort von der Hütte, fort von Dayindi. Ihre feindseligen Gefühle tobten in ihr, brannten, wollten ausgelebt werden, und instinktiv wusste Emma, dass sie hier wegmusste, sofort. Sie stürzte zu ihrem Zelt, schnappte sich ein Gewehr und die wassergefüllte Kalebasse und verließ das Lager.
Sie würde jetzt zu Princess laufen, würde die ganze verdammte Umgegend abreiten, so lange, bis sie Carl gefunden hatte, und dann würde sie den Ältesten entgegentreten und sie alle drei zwingen, ihr ins Gesicht zu schauen. Sie, Emma, sollte für den Tod ihres Mannes verantwortlich sein? Sie sollte schuld daran sein, dass er nicht mehr lebte, nur weil diese fiesen Geister sich einen Spaß daraus machten, Emma an ihrer Schuld ersticken zu lassen? Oh nein, das konnte man ihr nicht weismachen, nicht einmal Birwain! So grausam war Gott nicht. Und er war es, an den Emma glaubte, nicht diese grässlichen Ahnen und Marmbeja, die nichts als Furcht, Schrecken und Hoffnungslosigkeit verbreiteten.
Haben wir dir nicht geholfen, als du unsere Hilfe benötigt hast? Haben wir dich nicht während des Eukalyptusfeuers geheilt?
»Nein!«
Sie schrie ihren Zorn in den Regenwald hinaus, schleuderte ihn in den Himmel und verschloss sich im selben Moment mit aller Kraft den Halluzinationen, diesen trügerisch liebevollen Stimmen, die ihr überreizter Verstand ihr vorgaukelte. Sie wollte nichts mehr hören, weder aus den Bäumen noch aus ihrem Inneren noch sonst woher. Sie, Emma, lebte in der wirklichen Welt, im aufgeklärten 19. Jahrhundert, und sie würde tun, was hier und heute zu tun war:
Zu Princess laufen.
Carl suchen.
Dafür sorgen, dass er weiterlebte … mit ihr, für sie. Für Belle. Für seine Forschung.
Für alles, was ihm wichtig war.
Bei Gott und allen Ahnen und Geistern, er musste einfach leben.
3
L angsam ritt Emma zurück in ihr ehemaliges Forschungslager. Sie hatte den Kopf mit der pochenden Wunde gesenkt, achtete schon lange nicht mehr auf den nachtschwarzen Weg. Ihre Stute würde sie auch ohne ihre Hilfe sicher zurückbringen.
Wie es aussah, war Orlando weniger verlässlich gewesen.
Stunde um Stunde war Emma durch den offenen Eukalyptuswald geritten, der sich meilenweit über die Main Range erstreckte. Steinige, schlechte Wege hatten sie in alle Himmelsrichtungen geführt; wenn der Wald zu dicht oder der Weg zu
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