Der Ruf des Kookaburra
nicht! Ich hatte mir das Ganze nämlich auch anders vorgestellt, weißt du? Du könntest mir helfen, anstatt mich immer nur zu schulmeistern. In dem blöden Buch lesen kann ich nämlich selbst, und deine Besserwisserei geht mir gehörig auf die Nerven!«
Carl drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort davon.
Belle brüllte.
»Ist das alles?«, schrie Emma ihrem Mann mit sich überschlagender Stimme hinterher. »Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«
Carl drehte sich nicht einmal mehr um.
Emma warf sich neben Belle auf den Zeltboden. Heulend vergrub sie ihr Gesicht in den kratzigen Decken.
20
B aby und Mutter weinten sich gründlich aus, und als Purlimil wenig später zu ihnen ins Zelt hineinlugte, fühlte Emma sich verquollen und ausgelaugt. Purlimil bot ihr vorsichtig an, das Baby mitzunehmen, damit sie sich ein wenig ausruhen könnte, und Emma besaß nicht die Kraft abzulehnen.
Ihre Freundin ging mit Belle davon, das Geschrei ebbte ab, und mit ihm legte sich langsam auch die Verzweiflung. Endlich herrschte Ruhe, wunderbare, süße Ruhe, und Emma fiel in einen traumlosen Schlaf. Erst als ihr Hunger sie am frühen Abend weckte, öffnete sie widerwillig die Augen.
Die Erinnerung an die Szene, die sie Carl gemacht hatte, traf sie wie ein Keulenschlag.
Sie stöhnte auf. Was hatte sie getan! Welch ungerechte Vorwürfe und kindische Verdächtigungen hatte sie ausgestoßen! Sie hatte Carl nicht nur angegriffen, sondern auch offen an seiner Liebe gezweifelt … die er ihr doch jeden Tag aufs Neue bewies. Niemals hatte er etwas getan oder gesagt, was ihre Zweifel hätte rechtfertigen können.
Emma setzte sich auf und stützte die Stirn in die Hände. Hatte sie wirklich alles an ihm ausgelassen, ihre ganze Ohnmacht, ihren ganzen Zorn auf sich selbst und auf diese vermaledeite Situation? Jetzt, wo sie sich seit Wochen zum ersten Mal ausgeschlafen fühlte, schämte sie sich unendlich. Dafür, dass sie sich benommen hatte wie eine Verrückte.
Sie hoffte inständig, dass sie Carl ebendies würde vermitteln können: dass sie nicht sie selbst gewesen war. Dass sie sich bloß so schrecklich erschöpft gefühlt hatte und dass Carl alles, alles vergessen müsse, was sie ihm an den Kopf geworfen hatte. Dass ihre Ehe wunderbar war. Dass sie Carl liebte und dass sie wusste, dass er sie ebenfalls liebte. Dass sie niemals ernstlich an seiner Zuneigung gezweifelt hatte.
Wo war Carl überhaupt?
Vielleicht schrieb er vor dem Zelt an seinen Berichten.
Sie rappelte sich auf, fuhr sich mit der Bürste durch ihr wirres Haar und trat dann hinaus ins Freie.
Kein Carl.
Suchend sah Emma sich um, ob sie ihn irgendwo entdeckte. Doch außer einigen schwarzen Frauen, die in der Kochgrube ein Tier garten – dem Geruch nach eine Schlange, dachte Emma mit knurrendem Magen –, war niemand zu sehen.
Emma ging zu den Frauen an die Kochgrube.
»Warum schaust du so ernst?«, begrüßte Nowalingu sie lächelnd. »Dein Baby ist nun gesund, es schreit nicht mehr. Du solltest lachen, Emma!«
Ein paar Stunden von dir getrennt, und schon ist Belle ruhig und glücklich. Versagerin!
Sie atmete tief durch. »Wo ist Belle denn? Und wie habt ihr es geschafft, dass sie aufgehört hat zu schreien?«
Nowalingu stocherte in der Grube herum, in der tatsächlich zwei riesige Schlangen lagen. Die Tiere würden mit ihrem Fleisch, das zart und fein wie Hühnchen schmeckte, die Hälfte des Clans satt machen. Emma merkte, wie hungrig sie war.
»Alle haben zusammengearbeitet«, sagte Nowalingu, während sie die Schlangen in der Glut wendete. »Purlimil hat ihr zuerst Medizin gegeben. Gunur hat sie dann noch einmal geräuchert, mit heiligen Kräutern. Und zum Schluss hat Birwain den bösen Geist vertrieben, der sich in Belles Magen eingenistet hatte. Birwain hat den Magen herausgeholt, den Geist verscheucht und den Magen wieder eingesetzt.«
Einen Augenblick lang starrte Emma die junge Frau entsetzt an. Birwain hatte Belle den Magen aus dem Leib gerissen?
Doch dann nahm ihr Gehirn seine Arbeit wieder auf, und sie erinnerte sich an eine ähnliche Heilung, die sie vor Monaten bei einem kranken jungen Mann beobachtet hatte: Birwain hatte vorgegeben, die Leber des Mannes aus dem Körper zu holen – in Wirklichkeit jedoch nichts getan, als mit den Händen bestimmte Bewegungen in der Luft zu vollführen. Das Herausholen von Organen und deren Heilung geschehe, hatte der Schamane Emma und Carl später erklärt, auf einer rein geistigen Ebene. Diese Ebene könne
Weitere Kostenlose Bücher