Der Ruf des Kookaburra
galten die üblichen Regeln der Schicklichkeit nicht. Alle Männer und Frauen schliefen beieinander, und ob Emma neben John unter freiem Himmel lag oder im schützenden Zelt, kam sich doch ziemlich gleich. Außerdem hatte John recht: Sie musste an Belle denken, der ein trockenes, warmes Plätzchen bestimmt guttun würde. Und so lag das Zelt nun in ordentlich gefalteten Bahnen über Sirius’ Rücken.
John selbst hatte sich seine Forscherausrüstung, die Botanisiertrommel und das Gewehr umgehängt. Er hatte sogar angeboten, Gelar zu tragen, aber Yileen hatte protestiert, das sei die Aufgabe des Vaters, wenn schon die Mutter nicht mehr imstande sei, sich um ihr Kind zu kümmern.
Emmas Blick schweifte über das Gewirr der Männer, Frauen, Kinder und Hunde, bis sie ihn entdeckte: Mit gefurchter Stirn schlug Yileen sich durch den Regenwald, Gelar auf dem Rücken und Purlimil neben sich.
Purlimil schien es kaum zu schaffen, mit ihrem Mann Schritt zu halten. Obwohl sie als Einzige nichts schleppen musste, wirkte sie bereits erschöpft. Emma fiel auf, dass sie dünner geworden war – ihre Beine und Arme, die früher straff und schlank gewirkt hatten, sahen nun hager und knochig aus. Sie stolperte, und Yileen griff rasch um ihre Taille und richtete sie wieder auf. Dabei löste sich eines der Werkzeuge, die an der Schnur um seine Hüfte baumelten, und fiel auf den weichen Waldboden.
Purlimil blickte auf das Werkzeug hinab, machte aber keinerlei Anstalten, es aufzuheben. Das überließ sie Yileen, der mit Gelar, mehreren Fellen, zwei Netzen mit Früchten und seinem Speer bepackt war. Vorsichtig bückte sich Yileen, und ächzend richtete er sich mit dem Werkzeug und seiner Traglast wieder auf. Purlimil sah ihm gleichgültig dabei zu.
Emma wäre nicht verwundert gewesen, wenn Yileen seine Frau nun ärgerlich auf ihre mangelnde Hilfsbereitschaft hingewiesen hätte, doch nichts dergleichen geschah. Er warf ihr nicht einmal einen vorwurfsvollen Blick zu, und Emma musste an seine Worte vom Vortag denken.
Am abendlichen Feuer hatte Yileen ihr erklärt, dass es nicht Purlimil war, die da vor sich hin vegetierte, sich um nichts kümmerte und sich egoistisch verhielt. Nein, es war lediglich ihre Hülle; nicht seine Frau, sondern nur ihre Erscheinung. Purlimil selbst war bei den D’anba. Deshalb war sie in seinen Augen von jeder Schuld befreit, so lange, bis der Clan es mit vereinten Kräften geschafft haben würde, ihre Seele zurückzuholen.
»Dann ist sie wieder ein vollständiger Mensch«, hatte Yileen hoffnungsvoll gesagt.
Schaudernd wandte Emma sich ab. Die Vorstellung, dass Purlimils Seele von grausamen D’anba gefangen gehalten wurde, während ihr Körper wie eine leere Hülle hierblieb, empfand Emma nicht nur als traurig, sondern auch als gruselig.
»Aaaah, pass doch auf, Frau!«
Emma zuckte unter dem zornigen Verweis zusammen. Schräg vor ihr stand Dayindi, den sehnigen Körper gegen einen Baumstamm gepresst, die Augen schmal.
»Nimm dein Pferd weg! Na los, das Tier erdrückt mich sonst!«
Ohne nachzudenken, tat Emma, wie Dayindi ihr befohlen hatte, und führte Princess rasch fort. Er atmete auf, schoss mit seinem Blick jedoch giftige Pfeile auf Emma und ihre Stute.
Gerade wollte Emma ihn verwirrt fragen, was sie ihm denn nun schon wieder getan hatte, als sie John neben sich leise lachen hörte.
»Da hat wohl einer mächtig Angst vor Pferden«, raunte er Emma zu.
»Dayindi? Der hat vor gar nichts Angst«, erwiderte sie leise.
»Vor Princess schon. Du warst ja abgelenkt, aber ich habe die Szene beobachtet: Er hat nicht gemerkt, dass wir in seine Nähe gekommen sind, und als Princess ihm urplötzlich ins Ohr geschnaubt hat, ist er zur Seite gehüpft wie ein Springteufel. Leider war der Baum im Weg, so dass er in der Falle saß – hinter ihm der Baum, vor ihm dein Höllenross.«
Emma schaute auf ihre gutmütige Stute und versuchte, sie mit der Bezeichnung »Höllenross« in Einklang zu bringen. Unwillkürlich musste sie lachen.
Als Dayindi das mitbekam, wurde sein Blick noch finsterer. Abrupt wandte er sich ab und schloss sich eilig einer Gruppe unverheirateter Männer an.
»Er scheint es nicht zu mögen, wenn man ihn bei einer Schwäche ertappt«, stellte John ungerührt fest.
Emma schnitt eine Grimasse. »Er hasst es! Beim geringsten Anlass fühlt er sich erniedrigt und in seiner hohen Würde verletzt. Er ist ein schwieriger Mensch – und der Einzige im Clan, mit dem ich beim besten Willen nicht
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