Der Ruf des Kookaburra
angerührt.«
Vor Emmas Augen tanzten rote Punkte. »Dass du es leugnest, wird dir nichts nützen!«
»Ich leugne gar nichts, du verstehst bloß nicht.« Der amüsierte Ausdruck verschwand. Dayindi beugte sich vor und starrte Emma an. »Aber keine Angst, irgendwann wirst du alles wissen, alles begreifen, ja sogar Teil von allem sein. Möglicherweise schneller, als du glaubst. Freust du dich darauf?«
Sie zuckte vor der Verschlagenheit in seinem Blick zurück, aber nur für eine Sekunde. Dann kehrte ihr Abscheu zurück, heftiger als je zuvor.
Dayindi hatte recht, sie verstand ihn nicht. Vielleicht, weil er in Rätseln sprach, um sie zu quälen, ganz sicher aber auch deshalb, weil der Hass sie am Denken hinderte. Weil der Hass nicht mehr unterdrückt werden konnte, weil das Raubtier brüllte und die Muskeln anspannte, um sich endlich auf ihn zu stürzen, und sie konnte nichts dagegen tun, nichts. Denn Dayindi hatte Carl umgebracht, ihren Geliebten, ihren Seelengefährten …
Ein seltsam kühler, beobachtender Teil in ihr registrierte, dass sie nach dem Messer griff, das sie stets bei sich trug. Es in Brusthöhe hob. Zustechen wollte.
Denk daran: Er hat panische Angst vor Pferden.
Die Stimme schien aus jenem besonnenen Teil in ihr zu kommen, den der Hass noch nicht erreicht hatte, und ließ das Raubtier innehalten. Alle Gedanken stürzten gleichzeitig auf Emma ein.
Carl war auf Orlando unterwegs. Orlando ist weit furchterregender als Princess … Dayindi hätte sich niemals an ihn herangewagt.
Emma ließ das Messer sinken.
Wer sagt denn, dass Carl auf Orlando unterwegs war? Dayindi kann Carl ermordet und Orlando nachträglich freigelassen haben.
Aber Orlando wäre immer zu seiner Weide zurückgekehrt. Und zu Princess, denn sie war seine Herde.
Vielleicht hat er Orlando mit dem Speer erlegt.
Aber wie soll er den Kadaver fortgeschafft haben, so panische Angst, wie er vor Pferden hat? Princess war doch die ganze Zeit über auf der Weide. Außerdem hätten die Schwarzen Carls Leiche bei der Suchaktion gefunden, egal, wie gut Dayindi ihn versteckt hätte. Jeder Quadratzentimeter des Regenwaldes wurde doch durchsucht.
Dann … dann kann Dayindi Carl also gar nicht getötet haben?
Das Messer glitt Emma aus der Hand.
Wie aus weiter Ferne hörte sie Dayindi zischen: »Du willst mir drohen, mit deinem lächerlichen Messer? Du mir? Ha! Das wirst du noch bereuen, so wahr ich hier stehe!«
Er stapfte davon, und Emma sah ihm wie betäubt hinterher.
Sehr langsam sickerte eine Erkenntnis in ihren Verstand. Sie, Emma, hatte einen anderen Menschen mit einer Waffe bedroht.
Es war nicht zu leugnen, und es war nicht rückgängig zu machen: Sie hatte den Drang verspürt, Dayindi mit ihrem Messer zu verletzen – ohne Rücksicht darauf, wie schwer diese Verletzung sein würde. Emma hatte den law man nicht töten wollen, das nicht. Doch ihr wurde erschütternd klar, dass von ihrem Credo absoluter Gewaltfreiheit in diesen glühenden, hasserfüllten Momenten nichts übrig geblieben war.
So weit war es mit ihr gekommen.
Voller Entsetzen über sich selbst schlug Emma die Hände vors Gesicht.
20
J ohn verurteilte sie nicht. Obwohl sie beinahe einen Menschen angegriffen hatte und keineswegs sicher war, wie weit sie in ihrer kopflosen Aggression gegangen wäre, fand John nichts als beruhigende und verständnisvolle Worte für sie, als Emma ihm reumütig ihr Herz ausschüttete. Er an ihrer Stelle hätte genauso gehandelt, sagte John, und niemand könnte es Emma verdenken, dass sie im Angesicht des kaltblütigen Mörders ihres Mannes die Beherrschung verloren hatte.
Dass Dayindi höchstwahrscheinlich gar nicht der kaltblütige Mörder war, für den sie ihn gehalten hatten, ließ John als Argument nicht gelten: Der law man hatte etwas mit Carls Verschwinden zu tun, davon war John zutiefst überzeugt.
»Offensichtlich weiß dieser windige Kerl mehr, als er zugeben will«, überlegte er laut, während er fortfuhr, Emma beruhigend über den Rücken zu streichen.
Das Raubtier in ihr hatte sich zurückgezogen. Was blieb, war das Gefühl ungeheurer Scham, darüber, dass sie ihren Aggressionen freien Lauf gelassen hatte, ohne auch nur einen Moment lang mit klarem Kopf über ihre Anschuldigungen nachzudenken. So sehr schämte Emma sich, dass sie Johns Berührung nicht nur zuließ, sondern sogar suchte – war sein tröstliches Streicheln doch der beste Beweis dafür, dass zumindest John sie nicht als das außer Rand und Band
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